SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Unser Frühling ist da“ – so steht es auf der Geburtsanzeige. Schon im Wortlaut ist das Glück der Eltern zu spüren: ihr erstes Kind ist geboren. Fasziniert erlebe ich, wie der kleine Ankömmling alles in der Ehe verändert. Die ist jetzt zur Familie geworden, und das Baby mischt die Verhältnisse gründlich auf. Alles kommt in Bewegung: der eingespielte Terminplan, die Rhythmen zwischen Arbeit und Freizeit, der Austausch mit Freunden und Bekannten. Die Nacht wird zum Tag, die Essens- oder Wickelzeit verändert alles, jeder Pieps hat Bedeutung. Zu dritt muss sich das Zusammenleben ganz neu einspielen, zu viert oder fünft erst recht. Welche Macht solch ein Baby hat! Eine Wucht! Es macht die Frau zur Mutter, den Mann zum Vater. Auf den neugeborenen Winzling konzentriert sich alles.
„Uns ist ein Kind geboren. Ein Sohn ist uns geschenkt.“ So lautet die weihnachtliche Geburtsanzeige. Sollte nicht auch dieses Kind alles aufmischen? In der Tat: Maria und Joseph bekommen überraschenden Besuch, die Hirten hören die Engel singen, Augustus mit seinen Steuerlisten ist abgemeldet. Das Weihnachtsevangelium nach Lukas erzählt davon. Was im Stall von Bethlehem geschieht, hat globale Bedeutung: Anerkennung Gottes im Himmel und Frieden auf Erden. Jede Seite der christlichen Bibel erzählt von diesem Ereignis: Gott höchst persönlich kommt in unsere Welt, in Jesus wird er sichtbar wie in keinem. Mit seinem Auftauchen hat sich die ganze Welt verändert, nicht nur die Verhältnisse zwischen Maria und Joseph mischt er auf. Die Perspektive im Ganzen ändert sich. Die armen Schlucker bekommen ihr Recht, die Hirten z.B. oder sonst die kleinen Leute. Die Verhältnisse werden auf den Kopf gestellt: Arme werden reich, Hungrige satt, Mächtige fliegen von ihrem Thron, Schwerstkranke bekommen Hoffnung, Habgierige rutschen aus ihren Vorstandsesseln, gierige Investmentbanken krachen zusammen. Dieser Jesus verändert seine Umgebung, ja die Welt im Ganzen.
Bei den jungen Eltern fasziniert mich ihre Wendigkeit. Wenn’s um ihr Kind geht, ist ihnen keine Anstrengung zu viel. Ob nachts das Stillen ist und das Aufstehen, ob die Störung tagsüber - ganz selbstverständlich sind sie da für ihr Kind. Gewiss. Es gibt dann auch bald mal einen Stoßseufzer, endlich mal Ausschlafen z.B. - aber wie selbstverständlich sind die Eltern dem Kind stets zu Diensten. Das Kind liegt nicht nur im Bettchen, es ist in ihrem Herzen. Ob es für gläubige Christen nicht vergleichbar ist mit ihrem Jesus? Alles dreht sich um ihn. In ihm ist ja Gott selbst in die Welt gekommen! Allein ihm gilt alle Aufmerksamkeit. Christsein heißt, diesen Jesus liebevoll im Blick zu haben wie Eltern ihr Kind. Er bestimmt, er mischt unsere Verhältnisse auf. Sein Lebensprogramm ist umwerfend genug, noch 2000 Jahre danach. Seinen Geburtstag feiern ist nicht auf heute beschränkt.
Freilich: selbst das geliebteste Kind kann mal zum Störenfried werden. Je erwachsener und eigenständiger es wird, umso mehr. Das gilt für das Baby aus Bethlehem erst recht. Bekannt ist ja inzwischen, wie kantig und sperrig er sich verhielt. Seine Botschaft von Vergebung und Feindesliebe brachte viele durcheinander, bis heute. Kein Wunder also ist es, dass man zu gewohnten Machtverhältnissen zurückkehren will. Gleich nach der Geburt trachtet man dem Kind nach dem Leben. Herodes ist nur eine Figur in diesem Machtpoker. Jesus, kaum aufgetaucht, wirkt unbequem. Man will ihn beseitigen, und schließlich gelingt das auch, auf den ersten Blick jedenfalls. Aber mit seiner Geburt ist etwas ganz Neues aufgetaucht, und das ist nie mehr aus der Welt zuschaffen.
„Unser Frühling ist da“ – mitten im kalten Winter. Christen sind Menschen, die sich von ihm beglücken und überraschen lassen. Wie Eltern von ihrem Kind. Alles tun sie, damit er seinen Weg in diese Welt findet, so originell und wirksam wie möglich. Der Glaube bewährt sich vor allem dann, wenn wir uns von ihm auch stören lassen. Weihnachten bringt unsere Tagesordnungen durcheinander. Wer glauben darf, freut sich darüber – auch wenn’s im ersten Moment schwer fällt und nur lästig ist. Jesus, dem Neugeborenen, nachzufolgen, ist ja einfach nicht. Und auch das Eltern sein will erst gelernt sein, nicht zuletzt in der Schule des eigenen Kindes.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=5125
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