SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Kürzlich habe ich einen Vortrag gehört mit dem Titel „Die Würde des Unglaubens – Sind Heiden die besseren Christen?“. Es ging darum, in der Einstellung zum Leben offen zu bleiben für neue Einsichten. Das war kein Plädoyer dagegen, eine Position zu haben, z.B. sich deutlich an der Person Jesu zu orientieren, im Handeln und auch im Hoffen. Es ging nicht gegen die Gewissheit, die im Glauben liegen kann. Für den Referenten lag Glauben darin, ein Verhältnis zur Zukunft zu haben, die grundsätzlich unbekannt ist. Wer glaubt, hält Veränderung für möglich, entwickelt Kraft zur Veränderung. So eine der Grundthesen. Manchmal sind Menschen, die sich nicht ausdrücklich zu einer bestimmten Religion oder Konfession entschließen, in diesem Sinne gläubig. Wer sich hingegen im Besitz der Wahrheit sieht, hat sich festgelegt, ist nicht mehr offen. Ich fand es einen überraschenden Gedanken, denn vertrauter ist mir natürlich noch die Definition: Glauben heißt: etwas für wahr halten. Aber diese andere Sichtweise ist ja gut biblisch, sie entspricht auch durchaus dem, was Jesus gelebt und gepredigt hat: Nicht dieses oder jenes für wahr halten, sondern sich hingeben an die Zukunft. Auf den Sinn vertrauen, der darin liegt.
Ich möchte Ihnen einige Verse des Dichters Peter Härtling mit auf den Weg geben. Heute wird er 75 Jahre alt, die Verse passen zum Morgen, und sie können helfen, diesen neuen Tag so offen anzugehen, wie es der Würde des Glaubens und des Unglaubens entspricht.

Ein Balkon aus Papier
handtellergroß,
für jeden Morgen.
Das ist kein Kinderspiel.
Diese ein wenig
fahrige Mühe,
den Tag zu gewinnen,
dem ersten Satz zu trauen,
ohne ihn auszusprechen,
sonnenflecken zu zählen,
den Atem zu hören
und den Rauch der Zigarette
gegen die offene Hand zu blasen.
Jeder Morgen könnte mir fehlen.



Gedanken von Peter Härtling, die in den Morgen helfen können. https://www.kirche-im-swr.de/?m=4850
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