SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Erster“, ruft begeistert das Kind beim Wettspiel. Bis zuletzt durchkommen, und dann als erstes am vereinbarten Ziel sein - welch ein Glück! Von früh an messen wir unsere Kräfte: Im Kinderspiel, im Gerangel auf dem Schulhof, im Bemühen um gute Noten, spätestens die Suche nach dem Arbeits- oder Studienplatz konfrontiert mit dem Ernst des Lebens. Was Tag für Tag aus Peking zu sehen ist, ist auch ein Spiegelbild jenes Wettlaufs, der das Leben ist: Erster sein oder wenigstens Zweiter, jedenfalls nicht letzter.
Unter den biblischen Ostergeschichten gibt es auch eine Erzählung vom Wettlauf. Es ist der erste Tag der Woche, also der Sonntag. Maria Magdalena, eine führende Gestalt in der Gemeinde, hat beim Friedhofsbesuch entdeckt, dass das Grab Jesu aufgebrochen ist. Der Leichnam Jesu sei weg, keiner weiß, wo er ist, berichtet sie. Unruhe erfasst die Jünger. Also, so heißt es nun wörtlich, „zogen Petrus und der Lieblingsjünger hinaus und gingen zum Grab. Die beiden rannten gleichzeitig. Der Lieblingsjünger aber war schneller – Petrus voraus – und kommt als erster zum Grab.“ Beide wollen so schnell wie möglich ans Ziel, zu ihrem Herrn, zu ihrem Schatz. Johannes, der Lieblingsjünger, ist als erster da, Petrus hat verloren. Solche Geschichten sind nicht einfach erfunden. Dahinter stecken offensichtlich Rivalitäten oder gar Machtkämpfe: Die Gemeinden, deren Bischof Johannes ist, wollen ihren Chef vorne sehen; die Petrus-Leute schicken ihren Anführer ins Rennen. Wettlauf um die ersten Plätze auch unter Christen, auch in der Kirche, damals wie heute. Aber „bei euch soll es nicht so sein“, hatte Jesus seiner Kirche ins Stammbuch geschrieben. „Die ersten sollen die letzten sein und die letzten die ersten“! Christlich haben die Verlierer die besten Chancen. Nicht die mit den Medaillen und auf dem Podest stehen im Mittelpunkt, sondern jene, die hinterher hecheln oder gar auf der Strecke bleiben.
Die alte Ostergeschichte geht weiter. Johannes, der Gewinner, geht nämlich nicht ins Grab hinein. Er lässt dem Verlierer, Petrus, den Vorrang. Eigenartig: Gerade jetzt, wo Johannes die Früchte seines Sieges ernten könnte, tritt er hinter den anderen zurück. Offensichtlich hat er’s nicht nötig, sich auf Kosten des anderen hervorzutun. Gewiss spiegelt sich darin auch die Entwicklung der frühen Kirche, in der Petrus mehr und mehr zum führenden Sprecher für alle wird. Beide jedenfalls bleiben auf der Spur Jesu, beide lernen begreifen, wo Jesus wirklich ist – nämlich nicht mehr bei den Toten, sondern bei den Lebenden.
Diese Geschichte vom Wettlauf sagt: Je näher man der Gestalt Jesu kommt, desto mehr kommen die üblichen Rangordnungen durcheinander. Der Sieger tritt aus eigener Überzeugung zurück und lässt den Verlierer vor; der letzte wird der erste – beide laufen nicht mehr gegeneinander, sondern miteinander. Neu entsteht Gemeinschaft, Rangelei und Positionskämpfe behalten nicht das letzte Wort. Wie sähen olympische Spiele aus, in denen auch die drei Letzten eine Medaille bekämen? Wie sähe die Welt aus, wenn alle gleichberechtigt starten könnten und zum Ziel fänden? Und die Sieger träten sogar zurück zugunsten der Verlierer? Nicht zu fassen!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=4310
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