Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Ein Leben lang wissen andere, was einem gut tut. Das fängt schon bei den Kindern an. Die müssen sich nämlich sagen lassen, dass Eltern, Lehrer und andere schon wissen, was für sie gut ist. Und das geht so bis ins hohe Alter, wenn im Pflegeheim andere entscheiden, wann es gut ist, aufzustehen, zu essen oder ins Bett zu gehen. Häufig gibt es gar keine Alternative da-zu, dass andere Verantwortung übernehmen und entscheiden, etwa wenn ein Kind noch zu jung oder ein alter Mensch zu verwirrt ist, um selbst verantwortlich handeln zu können. Ande-rerseits kann es sehr nervig sein, wenn andere meinen, sie wüssten ohnehin und ohne Nach-frage, was für einen selbst gut ist.
Der Umgang Jesu mit Hilfebedürftigen weist da in eine andere Richtung. Ein Blinder wendet sich mit dem Ruf an Jesus „Herr, habe Erbarmen mit mir“. Darauf fragt ihn Jesus: „Was soll ich dir tun?“ Eine merkwürdige Frage, sieht er denn nicht, dass der Mann blind ist? Aber Jesus hat auch schon andere Erfahrungen gemacht. Man hat schon einen Lahmen zu ihm gebracht, der nicht nur gesunde Glieder, sondern mehr noch Versöhnung und Vergebung seiner Schuld brauchte. Jesus fragt also den Blinden: „Was soll ich dir tun?“ Was wäre gewesen, wenn der Blinde jetzt gesagt hätte: Herr, mit meiner Blindheit habe ich mich abgefunden, aber was mich wirklich belastet, das ist das Zerwürfnis mit meinen Kindern, stifte Frieden zwischen uns. Jesus gibt dem Blinden durch seine Frage eine doppelte Chance: Zum einen bleibt der Blinde Herr des Verfahrens, er wird nicht einfach therapiert. Zum anderen kann er noch einmal prüfen, was sein innerstes Herzensanliegen ist, das er vorbringen will.
Diese Sensibilität und diesen Respekt Jesu wünscht man sich generell im Umgang mit Hilfebe-dürftigen – und mit sich selbst. Man möchte gefragt werden, selbst wenn scheinbar alles klar ist oder die Selbsteinschätzung irrt. Wer mich fragt, nimmt mich ernst. Das zählt besonders dann, wenn man auf andere angewiesen ist.
Auch ein unmündiges Kind, auch einen verwirrten alten Menschen kann man fragen: Was soll ich dir tun? Nie ist man vor einer Antwort sicher, mit der man nicht gerechnet hat und die ei-nen weiterbringt. Am Ende weiß der Betroffene vielleicht doch am besten, was für ihn gut ist.

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