SWR1 Begegnungen

SWR1 Begegnungen

Wo gehen Sie heute hin? Familienausflug? Zum Gottesdienst, zur 1. Mai-Kundgebung? Siegfried Strobel lässt nichts aus.

Also heute am 1. Mai gehe ich zuerst mal in den Gottesdienst, denn es ist Himmelfahrt. Im Anschluss daran werde ich dann zu Kundgebung des DGB gehen. Das mache ich übrigens jeden 1. Mai so und in der Regel haben wir auch jeden 1. Mai auch einen Gottesdienst.

Siegfried Strobel ist Pfarrer. Nicht vor Ort in der Gemeinde, sondern für die Arbeitswelt. Wenn er als Pfarrer Betriebe besucht, manche verwundert das immer noch:

Was sucht ein Pfarrer bei uns? Geht’s uns jetzt schon
so schlecht, dass wir Pfarrer brauchen? Aber in der
Regel sind wir willkommen.


Was Glaube und Arbeit, Kirche und Betrieb miteinander zu tun haben, davon erzählt Siegfried Strobel.

Teil 1

Siegfried Strobel sieht nicht so aus, wie man sich einen klassischen Kopfarbeiter vorstellen könnte: Er könnte auch da arbeiten, wo körperliche Kraft nötig ist: Groß, kräftig, man spürt wirklich eine Hand, wenn er einen begrüßt. Kopf- und körperliche Arbeit sind für ihn keine feindlichen Welten. Das spüre ich auch, als er mich in „seine Höhle“ führt: So nennt er sein Arbeitszimmer im Souterrain: Bücher bis unter die Decke. Was macht er als Pfarrer, der für den so genannten Dienst in der Arbeitswelt zuständig ist, frage ich ihn:

Also ein Pfarrer in der Arbeitswelt macht nicht viel anderes was ein anderer Pfarrer auch tut: er versucht Menschen zu begegnen, beizustehen, er versucht einfach da zu sein, zu hören. Die Arbeitswelt ist ja ein ganz besonderer Bereich, sie ist ein vermachteter Bereich, es gibt ein klares Oben und Unten. Und in diesen Erfahrungen nimmt ein Pfarrer Anteil. Ich will Menschen zeigen, dass Kirche interessiert, was Menschen am Werktag machen, an ihrem Arbeitsplatz.

Siegfried Strobel besucht viele Betriebe. Redet mit Mitarbeitenden, Betriebsräten, der Geschäftsleitung. Sieht dabei die rasanten Veränderungen, die zur Zeit überall ablaufen. Und das lässt ihn nicht kalt. Sorge macht ihm z.B. dass Menschen verliehen werden grad wie man sie braucht, dass viele Löhne nicht mehr zum Leben reichen.

Sorge macht mir, dass der Mensch mit Haut und Haaren für die Arbeit da sein muss, dass das einfach erwartet wird: „Wenn er bei uns ist, dann müssen Sie sich ganz geben ohne Einschränkung.“ Da verkommt die Arbeitswelt. Sorge macht mir, dass die so genannte Flexibilität - beispielsweise im Handel- sehr familienunfreundlich ist. Flexibilität heißt ja „biegsam“. Die Frage ist, wie weit können Menschen biegsam sein, ohne zu zerbrechen.

Siegfried Strobel sorgt sich nicht nur. Manches macht ihn auch zornig. Aber manches lässt ihn auch hoffen:

Zornig macht es mich manchmal, wenn ich Wirtschaftsleute höre, wenn nur noch das zählt, was man zählen kann, also wenn die Kasse stimmen muss und alles Andere, wie das erreicht wird und unter welchen Bedingungen keine Rolle mehr spielt. Aber mir macht Hoffnung, dass es – und ich meine, etwas zunehmend - Unternehmer gibt, die sehr wohl wissen, was sie an ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben.

Man spürt ihm ab, er macht seine Arbeit nicht nur als Job. Woher kommt diese innere Beteiligung? Wie ist er ‚Pfarrer für die Arbeitswelt’ geworden?

Ich habe das Handwerk des Pfarrers gelernt wie jeder andere auch, aber ich hatte auch einen Industrieberuf, ich hatte Werkzeugmacher gelernt, und dann das Abitur nachgemacht, studiert.

Er wollte aber mit diesem Bildungsweg die Welt der Produktion nicht einfach hinter sich lassen. Im Gegenteil, diese Wurzeln helfen, sich hinein zu denken in die Menschen. Wert zu schätzen, was sie leisten müssen und auch die Angst zu begreifen, die die Globalisierung macht. Und wie geht er damit um? Hilft ihm der Glaube?

Es gibt zumindest zu hoffen, dass die heute Mächtigen letztendlich doch nicht die Macht haben, dass Gott letztendlich mächtiger ist und von dieser Hoffnung getragen, lässt sich auch mit den anonymen Mächten heute besser umgehen, es relativiert vieles und es gibt auch Mut. .

Teil 2
Vieles, was er bei Betriebsbesuchen sieht, macht Siegfried Strobel Sorgen: Löhne reichen nicht mehr zum Leben, Leiharbeiter werden hin- und her geschoben, Verlust von Arbeit. Und oft ist man ohnmächtig, wenn in der globalisierten Wirtschaft Verantwortliche anonym bleiben. Trotzdem versucht er, christliche Werte in die Arbeitswelt einzubringen. Glaubt z.B. dass sich die Führungskultur mehr an den 10 Geboten und an Jesus orientieren sollte.

Wenn wir mit Unternehmern sprechen, dann weisen wir auch immer wieder darauf hin, dass man führen nach christlichen Grundsätzen lernen kann. Beispielsweise kann man da sehr viel von Jesus lernen, der die Menschen permanent aufgewertet hat. Alle Geschichten sind eigentlich Aufwertungen von Menschen und plötzlich blühen sie auf, plötzlich erkennen sie auch Fehler, die sie machen, kehren um usw.

Aber fürchtet ein Unternehmer nicht mit Recht, dass er so den wirtschaftlichen Erfolg seiner Firma gefährdet? Siegfried Strobel widerspricht:

Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass man mit christlichen Werten sehr wohl ökonomisch erfolgreich sein kann. Es gibt übrigens Umfragen in renommierten Wirtschaftszeitungen, die belegen, dass überzeugte Christen, die nach diesen Maßstäben leben, ökonomisch sogar erfolgreicher sind.

Für Siegfried Strobel kann es zwischen Kirche und Wirtschaftswelt aber keine Einbahnstraße geben. Was Menschen in der Arbeit leisten, was sie bedrückt, das sollte in der Kirche eine viel größere Rolle spielen, findet er.

Wenn man z.B. mal jetzt Predigten analysiert, wie kommt da Arbeitswelt vor, dann ist es doch relativ selten, dass so etwas angesprochen wird. Diese spezielle Erfahrung der Arbeitswelt ist eher ausgegrenzt.

Jeder Gemeindepfarrer müsste sich dafür interessieren, was seine Gemeindemitglieder in einem so wichtigen und breiten Teil ihres Lebens erleben.

Ich beobachte auch immer wieder, dass es letztendlich doch ein Stück weit getrennte Welten sind, aber es ist auch unsere Aufgabe als kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt diese Welten miteinander bekannt zu machen.

Kirche und Arbeitswelt näher zusammen zu bringen, das liegt Siegfried Strobel am Herzen. Und arbeiten und glauben.

Für mich ist Arbeit schon ein Stück kreatives Tun, bedeutet so einen Art Mitschöpfertum.

Arbeit nicht nur Lebensunterhalt, sondern Mitarbeit an Gottes Welt. Arbeit ist darum auch mehr als nur die bezahlte: Erziehung, Pflege müsste bei uns viel mehr geschätzt werden, meint er. Und umgekehrt: Darf man bezahlte Arbeit auch nicht überbewerten. Vor allem Männer müssen da aufpassen.

Ich erinnere mich an Beerdigungsgespräche, wo jemand nach seiner Pensionierung verstorben ist, wo dann die Angehörigen sagten: ‚Jetzt wo das Leben so schön werden könnte, jetzt musste er sterben.’ Das heißt, das Leben beginnt erst nach der Arbeit und eigentlich ist Arbeit das halbe Leben, aber die andere Hälfte soll auch mit gelebt werden. Und ich beobachte, dass bei sehr vielen Menschen eben Arbeit wirklich das ganze Leben ist und manche auch von ihrer Arbeit regelrecht aufgefressen werden.

Und er selber - kriegt er das hin?

Die Frage müsste dann wahrscheinlich meine Familie beantworten.https://www.kirche-im-swr.de/?m=3611
weiterlesen...