Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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12NOV2021
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Eine der schönsten Geschichten, die Jesus erzählt hat, handelt von einem Mann mit zwei erwachsenen Söhnen. Die beiden sind grundverschieden, wie das oft bei Geschwistern der Fall ist, auch wenn sie im gleichen Haushalt aufgewachsen sind und dieselbe Erziehung genossen haben. In dieser Geschichte ist der ältere Bruder ein bodenständiger, tüchtiger, angepasster Typ. Der jüngere dagegen ist eher abenteuerlustig und vielleicht sogar ein Draufgänger. Mit Macht zieht es ihn von zuhause weg. Er traut sich sogar, beim Vater um die vorgezogene Auszahlung seines Erbes zu bitten. Und dieser Vater gibt ihm ohne weiteren Kommentar, was ihm von Rechts wegen zusteht.

Wenn das jüngste Kind aus dem Haus geht, ist das für Eltern immer ein besonderer Einschnitt. Das Nest ist plötzlich leer, das man jahrzehntelang gehegt und gepflegt hat. Irgendwie ist es kalt im Haus. Auch mein jüngster Sohn ist vor wenigen Wochen ausgezogen.  Ich sage mir: Das ist der Lauf der Welt, ja mehr noch: Genau dafür hast du die Kinder doch großgezogen, dass sie in die Welt hinausziehen und ihr eigenes Leben leben. Danach habe ich mich sogar jahrzehntelang gesehnt. Dass die Kinder endlich aus dem Haus sind. Dass ich selbst wieder mehr Freizeit und mehr Freiheiten habe. Stattdessen sehe ich mich nun neben dem Vater aus der Geschichte auf der Straße stehen mit der Frage: Wann kommen sie wieder?

Am Wochenende? An Weihnachten? In den Ferien? Und was habe ich ihnen mitgegeben auf ihren Weg, dass sie nun zurechtkommen? Der junge Mann aus der Geschichte hat ja viel mitbekommen. Sein ganzes Erbe. Aber er ist eben auch leichtsinnig. Und hat vielleicht einfach Pech. Jedenfalls landet er in der Gosse. Er ist völlig am Ende, und sieh nur noch eine Möglichkeit: Zurück nach Hause. Arbeiten, seine Fehler wieder gut machen.

O je, muss ich denken, hoffentlich geht es keinem meiner Kinder so. Dann aber sehe ich ein, dass ich jetzt gar nichts tun kann. Vielleicht auch einmal gar nichts tun soll. Es liegt nicht in meiner Hand, und das fällt mir schwer. Ich werde mich erst noch daran gewöhnen müssen. Sie gehen jetzt ihre eigenen Wege. Für mich soll es im Moment genügen zu wissen: Wenn sie kommen, werde ich da sein. Wenn sie vor der Tür stehen, werde ich sie öffnen. Und ob sie es wollen oder nicht, werde ich sie in den Arm nehmen. So wie der Vater in der Geschichte. Er macht seinem Sohn keinerlei Vorhaltungen, als er abgerissen vor ihm steht. Er nimmt ihn einfach in den Arm. Vielleicht ist das im Augenblick genug.  

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