SWR2 Wort zum Tag

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09SEP2021
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Ich habe den Eindruck: Lieder können so etwas sein wie ein „Kissen der Hoffnung“. Wie ein Trostkissen kann man sich auch ein Lied nehmen, und die Seele darin bergen, wenn das Leben seine Härten zeigt. Das tut es besonders dann, wenn ein Mensch stirbt. Jemanden beim Sterben zu begleiten, das verlangt viel von denen, die mitgehen, seien es nun Angehörige oder Seelsorgerinnen. Da begegnen einem Hilflosigkeit, Ohnmacht und Angst wie sonst nur selten im Leben.

In solchen Situationen habe ich es schon als tröstlich erlebt, Lieder aus dem Gesangbuch zu singen, vorausgesetzt ich wusste, dass mein Gegenüber sie mag. Die Lieder enthalten Worte, die ich mir nicht selbst ausdenken muss; Melodien, die schon viele vor mir gesungen haben.

„Der Mond ist aufgegangen“, „Bleib bei mir Herr“ oder „Nun ruhen alle Wälder“ – für mich sind die Abendlieder aus dem Gesangbuch ein reicher Schatz. Viele von ihnen stammen aus Zeiten, als das Sterben viel präsenter war als heute. Paul Gerhardt etwa schrieb „Nun ruhen alle Wälder“ im dreißigjährigen Krieg. Er kannte den letzten Abschiedsschmerz. So spart er ihn auch in seinen Texten nicht aus, sondern geht ehrlich und von seiner tiefen Hoffnung getragen damit um.

In einer Strophe heißt es zum Beispiel: „Der Leib eilt nun zur Ruhe, legt ab das Kleid und Schuhe, das Bild der Sterblichkeit; die zieh ich aus, dagegen wird Christus mir anlegen, den Rock der Ehr und Herrlichkeit.“ An einer anderen Stelle schreibt er: „Mein Augen stehn verdrossen, im Nu sind sie geschlossen, wo bleibt dann Leib und Seel? Nimm sie zu deinen Gnaden, sei gut für allen Schaden, du Aug und Wächter Israel.“

Für mich sind das Worte und Melodien, in die ich mich einklinken kann. Ich kann meinen eigenen Schmerz, meine Zweifel und meine Hoffnung in ihnen zum Ausdruck bringen. Es ist, als würden sie einen Raum des Vertrauens um mich her aufspannen, gerade dann, wenn ich ihn selbst nicht in mir trage. Die Lieder sind wie ein Kissen der Hoffnung, das durch viele Generationen hindurch an mich weitergereicht wurde.

Spätestens in meiner Generation brechen diese Traditionen allerdings ab. Wir haben kein gemeinsames Liederrepertoire mehr. Trotzdem gibt es noch Texte und Lieder, die taugen und tragen; nur sind das eben bei jedem und jeder andere. Vielleicht sollten wir deshalb die Rubrik „Lieder, die mir helfen können“ in unsere Patientenverfügungen aufnehmen. Und bei Zeiten einmal überlegen, welche Musik mir guttun könnte. Bei mir wird manches von Leonard Cohen dabei sein und manches aus dem Gesangbuch. Haben Sie schon eine Idee?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33881
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