Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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17AUG2021
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Schön waren sie nicht, die Disteln am Rand von meiner Joggingstrecke. Sie hatten sogar etwas Bedrohliches: lange, stachelige Stängel mit spitzen, gezackten Blättern. So sind sie im Sommer in die Höhe geschossen, manche zwei Meter hoch. Nicht schön anzusehen.

Das hat sich geändert, als nach einiger Zeit ganz oben an den Disteln blaue Blüten zum Vorschein gekommen sind. Kleine Farbtupfer, aber die haben die großen Pflanzen in meinen Augen verändert. Das leuchtende Blau und die Stacheln und Zacken – das war eine spannende Kombination. Später sind aus den einzelnen Blüten Dolden mit vielen Blüten geworden. Sehr schön anzusehen.

Ich finde, so wie mit den Disteln ist das auch mit den Menschen. Disteln haben Blüten und Stacheln. Genauso hat auch jeder Mensch Stärken und Schwächen. Ich habe Eigenschaften, die mir an mir selbst gefallen und die ich auch gerne anderen zeige. Und daneben gibt es Seiten an mir, die mir nicht gefallen und anderen Menschen vielleicht auch nicht.

An den Disteln lerne ich: Jeder Mensch hat wirklich beides. Es gibt Niemanden, der nur Schwächen hat. Auch wenn es besonders pessimistischen oder selbstkritischen Menschen manchmal so vorkommt. Sie müssen nur genauer hinschauen. Dann entdecken sie auch ihre Stärken.

Und ich lerne von den Disteln: Die Eigenschaften, die mir nicht an mir gefallen, gehören dazu. Und sie dürfen bleiben. Auch wenn ich mir wünsche, ich hätte die Schwächen los, weil sie mir das Leben oft schwer machen.

So war das zum Beispiel beim Apostel Paulus. Paulus war ein toller Schriftsteller. Er hat Briefe geschrieben, die in der Bibel stehen und die bis heute viele Menschen bewegen. Aber genau derselbe Paulus war ein schlechter Redner. Wenn er gepredigt hat, sind die Menschen eingeschlafen (Apostelgeschichte 20,9) und seine Worte haben auf viele Zuhörer kraftlos gewirkt (2. Korinther 10,10). Aber ich finde, genau diese Kombination ist das Spannende an ihm. Das macht Paulus aus: Ein grandioser Briefeschreiber und gleichzeitig eine schwacher Redner. Langweilig, wenn er beides gut gekonnt hätte.

Auch die Disteln am Wegrand wären langweilig, wenn sie nur ihre Blüten hätten. Ich finde, gerade ihre langen, stacheligen Stängel machen sie zu etwas Besonderem.

Nicht nur meine Stärken, auch meine Schwächen machen mich zu dem, der ich bin. Ich denke, wenn ich mir das klar mache, kann ich Eigenschaften an mir, die mir nicht gefallen, viel besser annehmen.

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