SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

06AUG2021
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Es gibt Gespräche, die können so nur nachts stattfinden. Wenn man ein wenig getrunken hat, wenn die anderen schon schlafen und man sich unbeobachtet, geschützt fühlt. Im Johannesevangelium ist so ein Gespräch festgehalten.

Ein Mann sucht mitten in der Nacht Jesus auf, um etwas mit ihm zu besprechen. Er heißt Nikodemus und gehört zur jüdischen Oberschicht. Ich gehe davon aus, dass es ihm unrecht gewesen wäre, wenn man ihn zusammen mit Jesus gesehen hätte. Dazu gibt es viel zu viele Vorbehalte gegen den jungen Rabbi, der mit großem Selbstbewusstsein auftritt und zu Gott eine ganz besondere Beziehung zu haben scheint. Manche Begegnungen finden besser abseits der Öffentlichkeit statt. Nikodemus fühlt sich zu Jesus und seinen Gedanken hingezogen. Ihm gefällt, wie ungeniert und frei er auftritt. Trotzdem gibt es einiges, was mit seinem bisherigen Glauben, mit den Traditionen seiner Herkunft nicht zusammenpasst.

Jetzt hat er allen Mut zusammengenommen, um Jesus eine Frage zu stellen, die ihn umtreibt: Wie kann ein Mensch, der schon alt ist, geboren werden[1]? Es könnte sein, dass Nikodemus das für sich selbst wünscht, weil er merkt, dass sein Leben in eine Sackgasse geraten ist. Offenbar hat er davon gehört, dass Jesus sagt: Wer sich taufen lässt, wer mit Gott eine existentielle Verbindung eingeht, der wird ein neuer Mensch. Die bösen Mächte, die Gefahren, denen wir im Leben ausgesetzt sind, können einem, der so glaubt, in letzter Konsequenz nichts mehr anhaben. Und dazu ist es nie zu spät. Auch ein alter Mensch kann das. Wenn er spürt, dass sein Leben zu Ende geht; und er an jedem Tag, mit dem er dem Tod näherkommt, sein Schicksal in Gottes Hand legt. Oder wenn einer merkt: Da ist bisher viel falsch gelaufen in meinem Leben, ich habe anderen oft wehgetan, aber so will ich nicht mehr weitermachen. Dann, sagt Jesus, kann er immer noch neu anfangen. Er kann von oben geboren werden[2].

Es ist keineswegs so, dass Nikodemus das nun auf Anhieb versteht. Aber durch das Gespräch mit Jesus kommt etwas in Bewegung. Die alten Worte: Himmel, Geburt, Geist - sie bekommen eine neue Bedeutung. Und er spürt, wie stark die Hoffnung in ihm wird. Die Hoffnung, dass am Ende auch sein Leben gut sein wird, wenn er auf Gott vertraut.

Wir erfahren in der Bibel nicht, wie die Nacht zu Ende geht. Von Nikodemus hören wir noch ein einziges Mal: als er nach Jesu Tod ans Grab kommt mit einer großen Menge an kostbaren Ölen für dessen Begräbnis. Wieder in der Nacht. Weil der Mensch da anders ist, offener, bereit Dinge zu tun, die er sich sonst nicht traut.

 

[1] Johannes 3,4

[2] Johannes 3,7

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33685
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