Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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03MRZ2021
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„Endlich kann ich wieder durchatmen“, hat meine Frau gesagt, als sie neulich von der Orthopädin gekommen ist. Meine Frau hatte Rückenschmerzen. Sie konnte nicht mehr aufrecht sitzen und auch nicht tief durchatmen, ohne dass es wehgetan hat.  Der Grund: Mit der Zeit haben sich mehrere Wirbel verhakt. Meine Frau hat das gar nicht jedes Mal gemerkt. Aber irgendwann hat es wehgetan. Die Orthopädin hat die verhakten Wirbel einen nach dem anderen gelöst. Danach konnte meine Frau wieder ohne Schmerzen tief durchatmen.

Ich glaube, so ähnlich wie mit dem Rücken und den einzelnen verhakten Wirbeln ist das auch oft sonst im Leben. Wenn es einem nicht gut geht, hat das gar nicht immer den einen großen Grund. Manchmal hakt es an vielen kleinen Stellen. Aber in der Summe belastet einen das dann doch. Wenn es zum Beispiel Schwierigkeiten am Arbeitsplatz gibt, muss das nicht heißen, dass ich den falschen Beruf habe. Es können auch mehrere kleine Dinge sein, die mir das Leben schwer machen: Eine ungünstige Zeiteinteilung vielleicht plus eine umständliche Organisation plus ein langsamer Computer – für sich genommen nicht so schlimm, aber in Summe wird es zäh und anstrengend.

Ich glaube, das ist auch das Problem mit Corona. Ich finde die Einschränkungen, die das Virus mit sich gebracht hat, für sich genommen eigentlich ganz erträglich. Es macht mir nicht viel aus, beim Einkaufen eine Maske zu tragen. Mit Verwandten und Freunden kann ich auch über Internet und Telefon Kontakt halten. Zur Not geht es auch ohne Restaurant-Besuch. Und auch an den Fernunterricht mit meinen Schülern habe ich mich gewöhnt. Aber in der Summe belastet all das eben doch. Man kann nicht sagen: Es liegt genau an dieser oder jener Sache. Aber alles miteinander macht das Atmen schwerer.

Es liegt an den vielen Kleinigkeiten. Aber ich glaube, deshalb können auch kleine Dinge helfen. Wie einem die vielen kleinen Einschränkungen Kraft rauben, können einem auch kleine Dinge Kraft geben. Spaziergänge, gute Bücher, Musik hören oder selbst machen – eben alles, was einem gut tut. Für mich ist auch der Gottesdienst ein Ort, wo ich neuen Atem schöpfen kann. In der Schöpfungsgeschichte in der Bibel steht, dass Gott dem ersten Menschen seinen Atem eingehaucht hat. So ist Adam lebendig geworden. Ein paar Züge von diesem Leben schenkenden Atem nehme ich aus jedem Gottesdienst mit.

In einem Gottesdienst-Lied heißt es:

Gott gab uns Atem, damit wir leben,
er gab uns Augen, dass wir uns sehn.
Gott hat uns diese Erde gegeben,
dass wir auf ihr die Zeit bestehn.
Auch diese seltsame Corona-Zeit.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32672
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