SWR2 Wort zum Tag

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26FEB2021
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Gerade sind alle gereizt. In der Familie, auf der Arbeit – ein Jahr Pandemie setzt allen zu. Dabei wird mir ganz anders, wenn ich an die Krawalle in den Niederlanden Ende Januar denke und davor schon in Frankfurt oder Stuttgart.
Mir machen diese Nachrichten Angst: Das muss doch anders gehen!

Zumindest in meinem Umfeld probiere ich es anders: Ich bemühe mich um einen freundlichen Ton, um gewaltfreie Kommunikation, um einen konstruktiven Umgang mit Konflikten. Darin sind die meisten geübt, mit denen ich zu tun habe. Wir reden freundlich miteinander, meistens jedenfalls, und geben uns Mühe.

Das Problem dabei ist: Davon geht die gereizte Grundstimmung ja nicht weg. Manchmal habe ich den Eindruck, der Ärger sucht sich einfach andere Wege – und ist dabei erstaunlich erfinderisch: Die eine wird bitter, die andere krank, der nächste schimpft dauernd über „die da oben“. Und im Moment entsteht nun einmal haufenweise Ärger – weil wir uns oft ohnmächtig fühlen und nicht in der Hand haben, wie unser Leben läuft. 

Die biblische Tradition redet Ärger und Zorn nicht klein, im Gegenteil: Manchmal geht es da hoch her! Ich denke an Jesus, der im Tempel die Tische der Geldwechsler umstößt. Das war auch damals schon alles andere als politisch korrekt. Und mancher Psalmbeter wünscht seinen Feinden geradezu die Pest an den Hals.

Mir ist die Gefahr, die diese Texte in sich tragen, bewusst: Sie bergen ein Gewalt-Potential. Aber in unseren gereizten Zeiten der Pandemie entdecke ich eine Tiefe in ihnen, die mir gut tut: Sie erlauben es, Gefühle tatsächlich auch zu fühlen und auszudrücken. Sie brechen mit der falschen Norm, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. 

Gleichzeitig setzt die Bibel den aggressiven Tendenzen einen engen Rahmen. Jesus, der im Tempel selbst zornig wird, nennt nur wenig später das Doppelgebot der Liebe das höchste Gebot. Darin finden Wut, Zorn und Ärger ihr Maß und ihre klare Grenze.

In der Bibel zu lesen verhindert keine Gewalt. Aber mir hilft es, wahrzunehmen, was ich fühle und was ist. Und ich werde daran erinnert, was eigentlich geboten ist: Gott lieben und meinen Nächsten wie mich selbst. Dabei kann ein gewisses Maß an Aggression ja durchaus helfen: Ich gehe einen Missstand dann entschiedener an. Ich rede auch einmal Tacheles, wenn es nötig ist. Gott und den Nächsten lieben – in Wort und Tat: Dafür ist Jesus das beste Beispiel – obwohl oder vielleicht gerade weil er sich manchmal geärgert hat.
Wenn das in dieser Zeit mal keine frohe Botschaft ist!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32661
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