SWR2 Wort zum Tag

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03FEB2021
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Früher war alles besser. Es kommt vor, dass ich in das Klagelied über die moderne Welt einstimme.

Mir ist Vieles zu hektisch, ich komme oft mit den vielen Reizen um mich herum nicht zurecht und lasse mich ab und an dazu verleiten zu sagen, dass alles immer schlimmer wird. Damit bin ich nicht alleine. Es gibt viele, die sich schwer tun Schritt zu halten. Sogar in der Popmusik ist daraus ein eigenes Genre entstanden. Der Heimatrock. Einer der bekanntesten Vertreter ist der Sänger Andreas Gabalier aus der Steiermark. Er singt viel über die Heimat und die gute alte Zeit. Beides ist für ihn Ausdruck einer besseren Welt. Und die gute alte Zeit hat für ihn oft etwas mit Glaube und Christentum zu tun. In seinem Lied „Kleine steile heile Welt“ singt er: „...in einem christlichen Land hängt ein Kreuz an der Wand …“ und später dann  „...Vater unser beten, Holzscheitel knien…“.

Hier protestiere ich.

Hier stelle ich fest: Diese gute alte Zeit gibt es nicht. Wenn ein Mann in krachledernen Hosen das Bedürfnis hat auf der Bühne von der Vergangenheit zu singen, kann er das meinetwegen tun. Aber wenn er sich dabei so etwas wie das „Holzscheitelknien“ zurückwünscht, muss ich mich als Katholik im Jahr 2021 dagegen verwahren. „Holzscheitelknien“ war eine Methode, um unartige Kinder zu bestrafen. Sie mussten dabei auf der spitzen Kante eines Holzscheites knien und beten. Das sollte Buße sein, ihnen Demut beibringen und sie erziehen. Wer sich das zurückwünscht hat etwas Grundlegendes nicht verstanden.

Die katholische Kirche ist noch lange nicht durch die Durststrecke, in der sie sich gerade befindet hindurch. Aber vieles ist angesprochen und in Bewegung. Diese Kirche hat einen furchtbaren Missbrauchsskandal zu verantworten, dessen Aufarbeitung noch zu wünschen übrig lässt. In ihrem Namen werden zum Teil bis heute Frauen ausgesperrt, Homosexuelle und andere Menschen, die nicht ins Bild passen ausgegrenzt. Dies alles sind Erbstücke aus der sogenannten „guten alten Zeit“. Genauso wie das Holzscheitelknien. Und wer sich das zurückwünscht, auch unter dem scheinbar harmlosen Deckmäntelchen der Popmusik, der riskiert, dass Kirche und Gesellschaft wieder hinter all diese Dinge zurückfallen. Der nimmt in Kauf, dass all die Prozesse, die ohnehin viel zu langsam in Gang gekommen sind im Sande verlaufen. Der streut Salz in all die aufgerissenen Wunden, die erst begonnen haben zu heilen. Es war früher eben nicht alles besser. Wir bemühen uns es besser zu machen.

In dieser Hinsicht würde es sich lohnen mal ein Lied über die Chancen der guten neuen Zeit zu singen. Gerne auch in krachledernen Hosen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32529
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