SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

13NOV2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Auf nur zwei Worte kommt es, und sie machen das Leben aus: Bitte sagen und Danke, und beides gehört zusammen.  Beides braucht Vertrauen. Max Frisch, der Schweizer Schriftsteller, hatte seinerzeit vorgeschlagen, man solle einmal jährlich eine Liste der Dankbarkeiten aufstellen – so ähnlich wie eine Steuererklärung. So listet er  für sich  versuchsweise Gründe zum Danken auf: als erstes die Mutter, als viertes „die Erfahrung der praktischen Armut“, und so kommt er auf 23 Anlässe mit der nachdenklichen Schlussbemerkung: „Die Instanz gibt es nicht, die unsere Dankbarkeiten wissen will“.

Nein, Danken kann man nicht verordnen, es hat mit Freiheit und Lust zu tun. Schrecklich sind die Kindheitserinnerungen mit der Frage zwanghafter Eltern: „hast du dich auch schon bedankt?“.  Aber wenn jedes Geschenk einfach als selbstverständlich hingenommen wird, ist auch etwas faul.  Stets nur Ansprüche zu stellen, ohne für das Vorhandene und Gegebene zu danken, führt in das Ego-Land, in dem alle nur ihr eigenes Schäfchen ins Trockene bringen. Fängt nicht menschliches Leben dort erst richtig an, wo wir staunend entdecken, dass nichts selbstverständlich ist, angefangen beim eigenen Dasein? Niemand fängt bei Null an, sondern kommt von woanders her. „Was hast du, das du nicht empfangen hättest?“, fragt Paulus einmal ganz realistisch (1 Kor4,7).

Dankbarkeit ist die Mutter aller authentischen Spiritualität. Natürlich lässt sich in jeder Suppe ein Haar finden, und Elend gibt es noch viel zu viel.  Auf die jetzige Notstandszeit etwa könnten wohl alle gern verzichten. Aber selbst in dieser Zeit des Bittens und Verzichtens könnte es noch Gründe genug geben, um an einer Liste der Dankbarkeiten zu schreiben. Welches Glück, dass du da bist! Wie wenig selbstverständlich, dass es mich bisher nicht erwischt hat. Und auch heute Morgen ist die Sonne aufgegangen. Vielleicht ginge es herzenswärmer, hoffnungsvoller und friedlicher zu, wenn das Danken noch mehr gelernt und geübt würde.  Christen jedenfalls sind im Unterschied zu Max Frisch davon überzeugt, dass es sehr wohl Instanzen gibt, die unsere Dankbarkeiten wissen wollen, und zwar im Himmel wie auf Erden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=32021
weiterlesen...