SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

06AUG2020
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Als Priester habe ich ein seltenes Privileg. Ich darf Menschen in bestimmten Situationen sehr nahe kommen. Momentan leider nicht. Wegen Corona. Ich merke, da fehlt etwas. Paaren die Hände aufzulegen, wenn ich ihre Partnerschaft segne. Wenn jemand sehr krank ist, seine Stirn und die Handinnenflächen mit Öl zu salben. Beim Empfang der Kommunion kommen mir Menschen mit geöffneten Händen entgegen und ich lege die Hostie darauf. Im Moment mit einer Zange. Trotzdem. Ich sehe dabei viele unterschiedliche Hände. Kleine Kinderhände, zarte von Frauen und solche von Männern, die hart arbeiten mussten. Ich sehe die Furchen und Narben und Verkrüppelungen, die manche mitbringen. Dann ist da aber noch etwas: In jede Hand lege ich das Gleiche. Ein kleines Stück Brot. Die Hostie. Für Katholiken ist es das Größte, was es in ihrem Glauben gibt. Der Leib Christi. Egal, ob der Betreffende hoch dekoriert mit Ehren ist oder ein unscheinbarer Mensch. In dieser Situation vor dem Altar sind alle gleich. Vor Gott gleich und voreinander. Manchmal denke ich mir: Ob das die einzige Situation ist, wo es so eine radikale Form der Gleichheit noch gibt? Sogar am Grab existieren Unterschiede, obwohl man sagt, dass im Tod alle gleich sind. Aber da, wenn Mensch um Mensch nach vorne geht und kommuniziert, herrscht völlige Gleichheit. Für einen einzigen Augenblick. Jeder öffnet die Hand. Jeder bekommt das Gleiche. Jeder antwortet mit einem einzigen Wort: „Amen.“ Alles, was wir sonst anführen, um uns voneinander zu unterscheiden, spielt dabei keine Rolle. Und dann ist der kleine Moment auch schon wieder vorbei.

Nun bin ich mir schon darüber im klaren, dass diese Situation keine alltägliche mehr ist. Nur noch ein kleiner Teil der Christen nimmt regelmäßig an der Kommunion teil. Um so stärker ist für mich das Zeichen, das davon ausgeht. Es hat für mich eine aufwühlende Kraft nach innen, weil es sagt, dass auch in einer Kirche, die oft sehr auf die Unterschiede bedacht ist, im entscheidenden Augenblick Gleichheit herrscht. Und das Zeichen wirkt nach außen. Es erinnert daran, dass wir alle gleich sind: was unseren Ursprung angeht, was unsere Zukunft anbelangt und wenn es darum geht, was wir wirklich zum Leben brauchen. Titel, Besitz, Namen und Ämter - sie nützen alle nichts, und insgeheim wissen wir das auch.

Ich meine, es ist wichtig, dass wir uns von Zeit zu Zeit daran erinnern. Das macht uns für den anderen besser verträglich und stärkt den Zusammenhalt. Und ich finde, dass Christen sich mehr für diese Gleichheit stark machen sollten. Weil gerade sie es wissen müssten, dass vor Gott all unsere menschlich allzu menschlichen Unterschiede keine Rolle spielen

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31432
weiterlesen...