SWR3 Gedanken

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17JUL2020
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„Die guckt mich an“, empört guckt mich meine Nichte an. Meine Nichte ist fünf Jahre alt und wir essen gerade Forelle. Und in der Tat, die Forelle guckt mit weißen Augen. Und das ist meiner Nichte unangenehm. Ich überlege gerade, was tun. Da hat meine Nichte schon den rettenden Einfall: kurzentschlossen nimmt sie ihre Serviette und legt sie über den Kopf der Forelle. Und dann zeigt sie mir in aller Ruhe, wie sie schon ganz selbstständig den Fisch auseinanderlegen und essen kann.

Merkwürdig: nur ein Blick kann einen aus dem Konzept bringen. Sogar der Blick eines toten Fisches. „Wenn Blicke töten könnten…“ sagt man und jeder hat schon mal erlebt, wie sehr Blicke einen treffen und beschämen können. In der Art, wie wir schauen, liegt viel Kraft.

„Der liebe Gott sieht alles“ mit so einem bedrohlichen Satz sind viele aufgewachsen. Gott sieht und straft – das war die Idee.

Ein Blick kann aber auch ganz anders: Ein Blick kann aufmuntern und jemandem signalisieren „Ich stehe hinter dir“. Blicke können einen sogar zum Lachen bringen – meine Nichte und ich brauchen uns nur anzugucken und schon können wir loskichern!

Sieht Gott wirklich alles? Ich weiß es nicht. Aber für mich ist die Vorstellung tröstlich, dass Gott mich sieht. Ich fühle mich in Gottes Blick geborgen. Vielleicht weil ich mir den Blick Gottes eher so vorstelle: Gott übersieht mich nicht, er sieht mich.

→ „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Genesis 16

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