SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

18JUN2020
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„Der Mond ist aufgegangen“ – Seit beinah 14 Jahren singen wir zu Hause jeden Abend dieses Lied beim Zubettbringen der Kinder. Dann hat die Kirche zum Beginn der Coronazeit zu einem Balkonsingen mit dem Lied eingeladen und wir haben es probiert.

Mein Mann hat sich bei offener Tür ans Klavier gesetzt, unsere Tochter und ich haben unsere Trompeten rausgeholt, unser Sohn hat gesungen. Es fühlte sich erst einmal komisch an. „Kann man das einfach so machen? Is‘ ja peinlich. “ meinten die Kinder. Zehn Wochen wurden daraus. Zehn Wochen, in denen es kein einziges Mal um die Uhrzeit geregnet hat.
„Wie ist die Welt so stille“ heißt es an meiner Lieblingsstelle „und in der Dämmrung Hülle, so traulich und so hold“ und weiter „als eine stille Kammer, wo ihr des Tages Jammer, verschlafen und vergessen sollt.“

Am Anfang waren wir allein und sind schnell danach wieder in unserem Haus verschwunden. Dann aber haben sich die Nachbarn herausgewagt und auf den Hof gestellt. Von Gegenüber hat kurz darauf das Nachbarmädchen Blockflöte mitgespielt und die Mutter gesungen. Wir haben begonnen, uns über „des Tages Jammer“, von dem wir gesungen hatten, auszutauschen: Dass auch bei uns im Ort Menschen gestorben sind, dass die Familie der anderen Nachbarn in Neuseeland festhing.

Die Kinder erhielten Raum: Die Schule, ja, ihre Freunde fehlten ihnen. Wir lernten die junge Familie nebenan kennen und haben eines Abends den ersten Geburtstag des Mädchens zusammen gefeiert. Irgendwann haben wir bemerkt, dass aus zwei Dachfenstern uns weitere Menschen zuwinkten und auf den Balkonen hinter der Hecke auf dem Nachbargrundstück zwei weitere Paare mitsangen. Dann und wann sind in unsere Sackgasse Menschen aus der Umgebung hinzu gekommen, die einmal schauen wollten, woher denn nun die Musik genau kam. Unser Treffen am Abend hat uns miteinander Halt gegeben – wir haben aneinander als Nachbarn gedacht und sind uns in diesen Wochen des Abstandhaltens viel näher gekommen als zuvor. Ich hoffe sehr, dass wir irgendwann in diesem Sommer ein Fest feiern können, um diese gemeinsame Zeit nicht zu vergessen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=31112
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