SWR2 Wort zum Tag

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„Friedenshetzer“ nannten manche vor etwa 100 Jahren den neuen Pfarrer an der Stuttgarter Erlöserkirche. Denn in demselben Jahr, als Pfarrer Otto Umfrid sein Amt an der neu gebauten Stuttgarter Erlöserkirche antrat, nahm er als einer der Vorsitzenden der Deutschen Friedensgesellschaft auch am Weltfriedenskongress in London teil.

Was uns heute als friedenspolitisches Engagement für Kirchenleute quasi selbstverständlich erscheint, stand damals konträr zum kirchlichen und gesellschaftlichen Mehrheitsempfinden. Das wilhelminische Deutschland beteiligte sich am Ende des 19. Jahrhunderts am Rüstungswettlauf der Großmächte und am Streben nach Weltgeltung.

Unermüdlich griff Umfrid diese Haltung an und schrieb: „Die Behauptung: Wenn du den Frieden willst, rüste den Krieg, beruht sicher auf Verschrobenheit im Gebiet der Urteilskraft. Dem unbefangen Urteilenden muss das gerade so klingen, wie wenn einer sagen wollte: Wenn du Gesundheit willst, rüste die Cholera; wenn du in Ruhe leben willst, rüste Prügel. In Wahrheit ist das Rüstungs- und Marinefieber eine Art Verfolgungswahn, eine eigentümliche Abart der Psychosen …“

Durch Umfrids Engagement wurde Stuttgart vor dem ersten Weltkrieg das Zentrum des organisierten Pazifismus in Deutschland.

Auch an seinem persönlichen Leben und dem seiner Familie war dieses Engagement abzulesen. Im Schatten des Ersten Weltkrieges erschien im Mitteilungsblatt der Deutschen Friedensgesellschaft folgende Anzeige: „Pfarrer Umfrid, Stuttgart, nimmt junge Engländerinnen, Französinnen, Belgierinnen, Holländerinnen oder junge Mädchen aus den skandinavischen Ländern in sein Haus. Herrliche Lage. Gute Verpflegung. Alle Bildungsgelegenheiten in der Stadt. Unentgeltlicher Unterricht in deutscher Sprache.“ – Diese Einladung an junge Frauen aus den so genannten Feindesländern war konkrete und praktische Friedens- und Verständigungsarbeit, in ganz ungewöhnlicher Weise für seine Zeit.

Seine Frau Julie war ganz sicher in diese Arbeit eingebunden. Denn nach Umfrids Ansicht musste die öffentliche Erziehung zum Frieden schon zuhause beginnen, im Sinne einer, so Umfrid, „Erziehung zur Nachgiebigkeit, zum Gerechtigkeitssinn und zum Verbot jeder Gewaltanwendung“. Für die Umfrids galt: „Wenn du den Frieden willst, schaffe den Frieden!“

Julie Umfrid hat im Pfarrhaus in der Stuttgarter Birkenwaldstraße ihre vier Kinder in diesem Sinne erzogen und ihre Schwiegereltern umsorgt. Sie hat darüber hinaus ihr Haus für diese jungen Frauen geöffnet und zu einem Ort des Friedens gemacht. Heute wohne ich in diesem Pfarrhaus, das einen solchen Geist atmet. Das finde ich wunderbar. Und das verpflichtet zur Gastfreundschaft.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3008
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