SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

05OKT2019
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Wir sitzen auf einem Zeltplatz an der Nordsee. Die Zelte stehen zwischen den Dünen verteilt. Das Meer direkt vor unserer Nase. So mitten in der Natur zu sein, ist ein richtig tolles Erlebnis. Aber das Campen hat einen großen Haken für uns.

Das Zelt mit dem wir unterwegs sind, ist nicht für das Wetter an der Küste gebaut. Der Wind der vom Meer her kommt, rüttelt ganz schön an dem Gestänge. Schon nach wenigen Nächten merken wir, dass unser Zelt das nicht überleben wird. Und die angekündigten Sturmböen werden die Zeltplane definitiv in Stücke reißen.

Schweren Herzens beschließen wir also abzubauen, um vorzeitig heimzufahren. Doch es kommt ganz anders.

Nach einer letzten stürmischen Nacht sitzen wir beim Frühstück und erklären den Kindern, warum wir das Zelt abbauen müssen. Die Kinder sind natürlich enttäuscht und traurig.

Doch in dem Moment kommt ein Zeltnachbar an unserem Platz vorbei und spricht uns an. Wir kennen ihn nur vom Sehen.

Er kommt an unseren Tisch und sagt: „Euer Zelt ist ja nicht gerade wetterfest. Aber wenn ihr Lust habt, könnt ihr in meinem Zelt übernachten. Ich bin die nächste Woche unterwegs und mein Zelt bleibt solange stehen. Ihr könnt also gerne bei mir für diese Zeit einziehen.“ 

Wir schauen ihn ungläubig an und staunen. Wie kann es sein, dass genau in diesem Moment jemand in unser Leben tritt und uns so ein großzügiges Angebot macht?

Wir besichtigen sein Zelt und nehmen das Angebot dankbar an. Und es werden noch schönere Tage als davor. 

Dieser „fremde Nachbar“ beeindruckt mich wirklich. Er überlässt uns einfach sein Zelt, obwohl wir ihm völlig fremd sind. Und es ist nicht einfach irgendein Zelt. Es ist liebevoll ausgestattet mit allem Drum und Dran. Tisch und Stühle, Gaskocher und Kühlschrank und sogar Flickenteppiche liegen auf dem Boden. Das alles stellt er uns zur Verfügung.

Er vertraut uns. Obwohl er uns überhaupt nicht kennt. Vielleicht spürt er irgendwie, dass wir mit seiner Unterkunft und all seinen Sachen sorgsam umgehen. So ein Gespür wünsche ich mir auch. Dieser Mann ermutigt mich immer öfter schlicht zu vertrauen. Und darauf zu setzen, dass das Vertrauen belohnt wird. Natürlich nicht blind und naiv. Aber doch so, dass ich immer erstmal das Gute im Menschen sehe.

Wir haben dadurch jedenfalls nur gewonnen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29526
weiterlesen...