SWR4 Abendgedanken

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04OKT2019
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Was Jesus sagt, empfinde ich manchmal als ungeheuer provokant. Oder wie geht es Ihnen mit dem folgenden Ausspruch? Im Himmel wird mehr Freude sein über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die keine Umkehr nötig haben.[1] Für meine Ohren steckt da eine doppelte Provokation drin. Zum einen, dass Gott sich offensichtlich mehr über einen ehemaligen Sünder freut als über einen, der normalerweise gerecht handelt. Dann kommt aber noch dazu, dass Jesus den Gerechten offenbar unterstellt, sie hätten keine Umkehr nötig.

Ich weiß, dass ich Sünden begehe. Ich weiß auch, dass ich mich in aller Regel aber eher zu denen rechne, die sich um Gerechtigkeit bemühen. Ich vermeide es, schnell ein Urteil über andere zu fällen. Ich höre zu, wenn jemand eine andere Meinung hat als ich, und versuche ihn zu verstehen. Wenn es drauf ankommt, teile ich von dem, was ich habe mit einem anderen, der weniger hat. Das heißt: Ich bin meistens ein Gerechter, vielleicht sogar in der Summe meines Lebens betrachtet. Damit gehöre ich trotzdem – wie Jesus denkt – in die zweite Reihe. Und das empfinde ich als ungerecht. Gott muss doch ein Interesse daran haben, dass es möglichst viele gibt, die sich durch Gerechtigkeit auszeichnen. Schließlich ist das eines der Merkmale, mit dem Gott in der Bibel ganz oft charakterisiert wird: Gott ist gerecht, er sorgt für Gerechtigkeit.

Und jetzt: Halt! Ist womöglich genau das problematisch, dass einer wie ich sich für gerecht hält? Im Himmel wird mehr Freude sein über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die keine Umkehr nötig haben. Jesus warnt uns davor, selbstgerecht zu werden. Wer gerecht sein will, muss aufpassen, darf seine Grenzen nicht übersehen. Weil er immer hinter Gott zurückbleibt. Weil nur Gott selbst wirklich gerecht ist. Für Jesus kommt es nur auf das Eine an: sich selbst gegenüber kritisch zu bleiben und dann bereit zu sein neu anzufangen. Das entscheidende Wort im Satz von Jesus heißt: Umkehren. Eben nicht meinen, keine Umkehr nötig zu haben.

Ich bin eben beileibe nicht perfekt. Je länger ich in mich gehe, desto mehr Bereiche fallen mir ein, wo ich gerechter sein könnte; mich dafür engagieren könnte, dass unsere Welt mehr so wird, wie Gott sie sich vorstellt. Ich verbrauche zu viel und lebe oft Kosten derer, die in den ärmeren Ländern für mich und meinesgleichen schuften, oft unter unmenschlichen Bedingungen. Im Straßenverkehr könnte ich noch viel mehr Rücksicht nehmen. Das sind nur zwei kleine Beispiele. Umkehr ist immer möglich und immer gut, sagt Jesus.



[1] Lukas 15,7

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