SWR2 Wort zum Tag

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„Verzichte auf deine Wünsche, und du wirst erlangen, was dein Herz begehrt.“ Ein paradoxer Satz. Nicht nur, weil jetzt, in der Adventszeit, die Wünsche allgegenwärtig sind. Nicht nur, weil die ganze aufgeheizte Kaufstimmung uns glauben machen will: Du bist, was du hast. „Verzichte auf deine Wünsche, und du wirst erlangen, was dein Herz begehrt.“ Das ist ein paradoxer Satz, denn wie kann ich etwas bekommen, wenn ich darauf verzichte?
Der Satz stammt von Johannes vom Kreuz. Er lebt im 16. Jahrhundert in Spanien und gilt als einer der großen Mystiker. Mystiker, das sind Menschen, die besonders intensive Gotteserfahrungen haben. Solche Erfahrungen sind allerdings keineswegs immer schön oder machen glücklich. Johannes von Kreuz hat erfahren: Manchmal scheint Gott gerade dann sehr weit weg zu sein, wenn man sich seine Nähe sehr stark wünscht, wenn man ihn heftig sucht. Johannes erfährt bei seiner Suche nach Gott Dunkel und Nacht. Trotzdem hält der spanische Mystiker an seiner Suche fest. Er vergleicht die Sehnsucht nach Gott mit der Liebe, der Liebe Gottes zu den Menschen und der Liebe des Menschen.
Sicher: Diese Begeisterung für die Liebe wurzelt auch in biographischen Erfahrungen des Johannes. Sein adeliger Vater heiratet – aus Liebe – eine bürgerliche Frau und verzichtete dadurch auch auf ein reiches Erbe. Und als der Vater stirbt – Johannes ist gerade mal zwei Jahre alt – brechen für die mittelose Mutter und ihre drei Kinder harte Zeiten an. Johannes erfährt, dass Liebe eng mit Armut und Not verknüpft sind. Spuren dieser Erfahrung finden sich in den Texten, die Johannes verfasste. Auch in dem Satz: „Verzichte auf deine Wünsche, und du wirst erlangen, was dein Herz begehrt.“ Hatte nicht der Vater auf Geld und Ansehen verzichtet, weil er eine Frau liebte?
Doch der Satz des Johannes vom Kreuz umfasst mehr als nur eine psychologische Deutung des eigenen Lebens: Er ist ein Satz über den Glauben. Johannes will glauben, will Gott verstehen, ihm nahe sein. Aber er erfährt, dass sich dieser Glaube nicht erzwingen lässt. Ganz im Gegenteil: Gott erscheint häufig abwesend. Sich den Glauben heftig zu wünschen, das reicht nicht, um glauben zu können. Und gerade hier hilft die Idee der Liebe weiter. Liebe hat immer auch damit zu tun, dass ich meine Wünsche und Interessen zurückstelle und dass ich so offen bin für den Anderen. Ich muss mich dabei nicht selbst vergessen. Aber ich muss offen werden. Und dann, unverhofft und manchmal völlig überraschend werde ich mit Liebe beschenkt, erfahre die Nähe eines anderen Menschen, erfahre die Nähe Gottes. So wie Johannes von Kreuz das erfahren hat.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=2742
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