Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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In einer Kirche in Neustadt an der Weinstraße steht ein großer Wegweiser. Auf dem einen Arm steht „Glaube“, auf dem anderen, in entgegengesetzter Richtung, steht „Zweifel“. Der Glaubenspfeil weist zum Altar, während der Zweifels-Pfeil zur Kirchentür hinaus weist.

Das nenne ich mal eine eindeutige Haltung. Wer glaubt, der trete bitte näher zum Altar, und wer zweifelt, der verlasse die Kirche durch den Ausgang. Eine Alternative gibt es offensichtlich nicht.

Mich hat dieser Wegweiser geärgert. Bis ich ihn mir näher ansah und feststellte: Die Arme sind beidseitig beschriftet und lassen sich drehen, und auch der Wegweiser als Ganzes kann um seine Achse gedreht werden. Die Gemeinde kann ihn also unterschiedlich aufstellen. Altar und Ausgang sind keineswegs die einzig möglichen Richtungen, ja die Arme können sogar in die gleiche Richtung weisen.

Ich hatte große Lust, mich an dem Wegweiser zu versuchen. Mir war aber nicht klar, wohin ich die Arme ausrichten sollte. Denn so einfach lassen sich Glaubende und Zweifelnde gar nicht immer unterscheiden. Auch in der Kirche nicht. Und das war von Anfang an so: Schon der Apostel Thomas zweifelte, ob Jesus wirklich auferstanden sei. Nur wenn er den Auferstandenen sehen und anfassen könne, sagte er, könne er auch an ihn glauben. Trotz seiner Zweifel fand Thomas am Ende zu einem starken Glauben, und für diesen Glauben gab er sogar sein Leben.

Glaube und Zweifel können nahe beieinander liegen, wie bei Thomas. Und niemand ist vor Zweifeln sicher, nicht einmal ein Apostel.
Nach einigem Hin und Her war mir deshalb klar: Beide Wegweiser müssen in die gleiche Richtung weisen. Denn wer heute glaubt, kann morgen zweifeln. Und umgekehrt.

Also beide Pfeile in eine Richtung. Am besten mitten ins Kirchenschiff. Denn da gehören sie zusammen hin, die Glaubenden und die Zweifelnden. Damit sie miteinander reden und feiern, glauben und zweifeln können. Mitten in der Kirche ist für sie alle der richtige Platz.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27145
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