SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Heute feiere ich meinen 50. Geburtstag. Das Motto der Party heißt „Halb voll oder halb leer?“ Das bezieht sich zum einen auf die vielen Gläser, die an so einem Abend ganz oder halb ausgetrunken werden. Es bezieht sich aber auch auf mein Leben. „Halb voll“, das sagen normalerweise diejenigen, die optimistisch durchs Leben gehen. Und die gleiche Situation wird von anderen als „halb leer“ empfunden.

In den letzten Tagen habe ich über die Frage nachgedacht: Ist mein Leben nach 50 Jahren eher halb voll oder halb leer? Sicher, mein Leben ist reich an ganz vielen Dingen. Ich habe eine wunderbare Familie, keinen ätzenden Chef, einen Job der mich erfüllt. Ich habe einiges von der Welt gesehen, verrückte Typen kennen gelernt, Tränen gelacht und abenteuerliche Hobbies ausprobiert. Und weil ich dazu noch ein optimistischer Mensch bin, neige ich dazu, sofort zu antworten: „Klar, mein Leben ist eher halb voll als halb leer.“

Aber beim zweiten Blick entdecke ich doch auch Schmerzliches. Einige liebe Menschen haben sich schon verabschiedet aus meinem Leben. Sind gestorben, teilweise auch ganz tragisch. Oder der Kontakt ist einfach abgebrochen. Einige Pläne sind gescheitert, aber vielleicht war es auch gut so. Mein Körper zeigt mir langsam die Grenzen auf. Es zwickt an Körperteilen, die ich früher gar nicht wahrgenommen habe: Rücken oder Magen. Socken anziehen ist anstrengender als früher, und ich muss mir meine Kraft einteilen. Partys wie heute Abend habe ich als Student fast jede Nacht gefeiert, und heute geht es etwas gediegener zu.

Ein zweiter Blick aufs Leben lohnt sich, und deshalb heißt es bei mir auch halb voll und halb leer. Nicht weil ich mir die Partylaune vermiesen möchte, sondern weil diese Erfahrungen eben auch dazu gehören - zu mir und meinen 50 Jahren.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26906
weiterlesen...