SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Ich frage meine Freundin, wie es ihr so geht. Sie antwortet mir: „Momentan bräuchte ich wirklich täglich eine Auszeit von zu Hause!“ Sie rollt die Augen und schüttelt den Kopf. Sie erzählt mir, dass sie ständig mit ihrer Tochter streitet und am Ende des Tages weiß keiner mehr so recht, um was es eigentlich ging.  Ihre Tochter steckt gerade mitten in der Pubertät, da kann es schon mal zum einen oder anderen Knall kommen – ich kann mir gut vorstellen, dass die Nerven meiner Freundin blank liegen.

So recht weiß ich auch erst mal nicht, was ich ihr raten soll. Aber ich finde, wenn sie eine Auszeit braucht, dann sollte sie sich doch auch eine nehmen können. Auszeiten müssen ja nicht zwangsläufig bedeuten, dass man seine Koffer packt und weit weg verreist. Auszeiten lassen sich auch in den Alltag integrieren, selbst wenn der ziemlich vollgepackt ist. Ich überlege, was ich in vergleichbaren Situationen tue. Eine pubertierende Tochter habe ich zwar nicht zu Hause, aber auch ich erlebe oft Situationen, in denen ich nicht mehr weiter weiß: Sei es ein Streitgespräch mit einem Freund oder wenn ich unter Zeitdruck stehe und nichts so richtig funktioniert.

Wenn auch ich mal eine Auszeit brauche, mache ich Folgendes: Ich atme einmal tief ein und sage zu Gott leise „du in mir“ und atme wieder aus und sage „ich in dir“. Ein kleines Gebet an Gott, das mir ein Pastoralreferent vor gut 15 Jahren mit auf den Weg gegeben hat. „Du in mir, ich in dir“ – ein ganz kurzes Gebet, wenn mir die Zeit fehlt, um meine Wut, meinen Frust oder meinen Druck in Worte zu fassen, und ich verzweifelt versuche runter zu kommen. Manchmal wiederhole ich es auch zwei, dreimal und dann habe ich den Eindruck, dass Gott mich erdet, mich auffängt, kurz raus nimmt aus allem sozusagen. So dass ich dann wieder mit freierem Kopf durchstarten kann.

Wenn ein Streit sich so richtig zuspitzt und die Gemüter aufs Maximum hochkochen, ist es meistens besser, erst einmal tief durchzuatmen und sich zu vergewissern: Ich bin nicht allein. Oder wenn einem die Decke auf den Kopf fällt und man nicht mehr weiter weiß; auch dann kann es gut tun, kurz anzuhalten und Halt in Gott zu suchen. Genau das sind Auszeiten. Kurze, aber ganz bewusste Auszeiten. In denen ich mich vergewissere: Gott ist da. Er hält mich fest und hält mit mir alles aus. Meine Wut, meinen Frust und meine ganze Verzweiflung.

Ich erzähle meiner Freundin, wie meine Auszeit aussieht – sie ist überrascht, wie kurz eine Auszeit sein kann. Ich versichere ihr, dass es bei Gott gar nicht so viele Worte braucht – manchmal kann auch so ein kleines Gebet zwischendurch Wunder bewirken: Es bringt mich runter und gibt mir Kraft, brenzlige Situationen zu meistern.
Die Pubertät ihrer Tochter wird wahrscheinlich nicht so schnell ihr Ende finden, aber dafür schafft es meine Freundin vielleicht in Zukunft, sich auch eine kleine Auszeit während einem Streit zu schenken. Indem sie tief durchatmet und sich versichert: Gott geht mit mir mit – in der Wut und in der Verzweiflung.


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