SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Wir sind ein reiches Land. Und es wird bei uns unheimlich viel gejammert.

Zu viele Flüchtlinge! Und dann werden die auch noch besser behandelt als die sogenannten Einheimischen. Heißt es. Ein halbes Jahr nach der Wahl hatten wir noch immer keine Regierung. Was ja nicht stimmt, weil wir keinen Tag ohne Regierung waren. Die Straßen sind in katastrophalem Zustand und die Bahn kommt ständig zu spät. Und die Kirche ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Die Liste ließe sich fast unbegrenzt fortsetzen.

Es gibt so viel zu kritisieren, so viele Zustände, die schlecht sind. Gleichzeitig sprechen die Tatsachen aber auch eine andere Sprache: Kaum ein anderes Land hat ein so gutes Sozialsystem, in dem Menschen in Not aufgefangen werden. Auf dem Arbeitsmarkt ist die Lage so gut, wie seit vielen Jahren nicht mehr. Zugegeben: Es gibt bei uns arme Menschen, der Reichtum ist nicht gleichmäßig verteilt. Von Hartz-IV zu leben, ist kein Vergnügen. Aber es gibt wenigstens diese Hilfen und staatliche Unterstützung. Insgesamt also kein Grund zum Jammern, finde ich. Und beobachte gleichzeitig das Gegenteil. Nicht bei denen, die ärmer dran sind, sondern bei Leuten, die nun wirklich keine Not leiden, die oft sogar gut gestellt sind, denen nichts fehlt. Bei denen merke ich, dass sie unzufrieden sind und klagen. Wie kommt das, woher kommt dieser Zusammenhang?

Offenbar hat das mit unserem Reichtum zu tun. Und mit dem Vergleichen. Wer schnell ängstlich danach schielt, ob ein anderer womöglich mehr hat, der wird auf Dauer nicht glücklich. Es verhindert nämlich bei dem zu bleiben, was man hat. Das schätzt man dann gar nicht mehr, und übersieht, dass man fast alles hat, was man braucht, um glücklich zu sein. Statt dessen ärgert man sich über das, was fehlt oder womöglich irgendwann mal fehlen könnte. So beginnt ein Kreislauf von Eifersucht und Neid, der unserem Zusammenleben auf Dauer nicht gut tut. Ich gestehe jedem zu, dass er mal meckert über das, was ihn ärgert, über einen Missstand, der immer noch nicht beseitigt ist. Aber wenn’s dabei bleibt, wird man auf Dauer zum „Miesepeter“, und mit denen macht das Leben keinen Spaß mehr. Außerdem sind nicht alle Probleme gleich bedeutsam: Eine Straße mit Löchern ist ärgerlich. Aber dass Unterricht ausfällt, weil zu wenig Lehrer eingestellt werden, ist ärgerlicher. Und noch ärgerlicher wäre es, wenn Menschen nicht geholfen würde, die in Not zu uns kommen. Wieso sollen wir nicht ein paar tausend Leute mehr bei uns aufnehmen können? Bisher musste nicht ein (1) deutscher Bürger auf etwas verzichten deswegen. Und selbst wenn noch mehr kämen: Teilen sollte immer eine Option sein. Zumal das viel glücklicher macht, wenn’s gelingt, als Jammern.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26130
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