Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Und dann…,“ das kleine Mädchen strahlt, „dann hat Tante Maria mir fünf Euro gegeben. Das hat gereicht fürs Ponyreiten.“ Zufrieden beißt sie in ihre Laugenstange.

Ich sitze in einer Bäckereifiliale und trinke einen Kaffee. Am Tisch nebenan sitzen eine Mutter und ihre zwei Kinder. Das Mädchen vielleicht neun oder zehn, der Junge etwas älter. Ich glaube, die Kinder waren mit ihrer Tante auf der Kerwe.

Jetzt ist der Junge dran: „Und mir hat sie zehn Euro gegeben. Damit konnte ich mit dem neuen Ranger fahren. Mit Überschlag! “ Ich überlege: Ein Ranger? Das ist bestimmt ein Karussell!

Das Mädchen am Nachbartisch hört auf zu kauen. Das zufriedene Lächeln ist verschwunden. Wütend schaut sie ihren Bruder an: „Wie? Du hast zehn Euro bekommen und ich nur fünf? Das ist total ungerecht. Wieso hast du mehr bekommen?“

Ich denke: „Ja, das ist nicht so einfach mit der Gerechtigkeit. Was ist schon gerecht? Das ist gar nicht so leicht zu erklären.“ Ich bin froh, dass ich nicht in der Haut der Mutter stecke. Und als sie antwortet, bin ich ganz überrascht:  

„Tante Maria wollte euch beiden eine Freude machen.“ sagt sie. „Deshalb hat sie dir das Reiten und deinem Bruder die Fahrt mit dem Ranger bezahlt. Das Geld spielte dabei gar keine Rolle. Sie wollte euch beiden das ermöglichen, was euch Spaß macht. Und es hat dir doch Spaß gemacht, oder?“

„Ja,“ sagt das Mädchen, „aber unfair ist es trotzdem.“

„Nein,“ sagte die Mutter, „ist es nicht. Tante Maria hat euch beiden eine Runde spendiert und zwar jedem genau die, die ihr wolltet. Dir die Ponys und ihm den Ranger. Das habt ihr gewollt. Das habt ihr gekriegt. Was ist daran ungerecht?“

Ich denke: So schön hat noch niemand die Gerechtigkeit erklärt, die vor Gott gilt. Denn es geht ja gar nicht darum, dass wir alle das Gleiche bekommen. Es geht darum: Jeder soll bekommen, was er braucht und was ihm Freude macht. Und das ist so vielfältig, wie wir Menschen sind.

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