SWR2 Wort zum Tag

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Die biblischen zehn Gebote formulieren in knappen Sätzen, was Menschen besser tun oder lassen sollten, um ein gelingendes Miteinander zu gewährleisten: nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen …

Meistens sind es Handlungen, die dabei beschrieben werden. Nicht so am Ende dieses Katalogs, wenn es heißt: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus und Hof“. Begehren – ist das nicht eher etwas Emotionales als eine Handlung? Eine Gefühlslage? Was tue ich denn im eigentlichen Sinne, wenn ich „begehre“? Und an welche Adresse meines Ich richtet sich die Aufforderung, nicht zu begehren?

Kann man die eigenen Gefühle so steuern wie den Willen? Wohl kaum! Gefühle hat man. Und wenn mich Neid oder Eifersucht packen, weil der andere etwas hat, was ich nicht habe, oder weil er so ist, wie ich gerne wäre, dann ist das keine Angelegenheit des Willens. Wohl aber treiben Gefühle mein Handeln an – und da mag es Gefühle geben, die man besser nicht Herr seiner selbst sein lässt, zum Beispiel die Begierde. Oder sagen wir es differenzierter: die ungezügelte Begierde.

Die Pointe des biblischen Gebots gegen das Begehren wäre es also, den Gefühlen das Zaumzeug anzulegen: „Lass dich in deinen Absichten und in deinem Handeln nicht von deiner Begierde leiten, sondern umgekehrt: beherrsche sie!“

Warum könnte das wichtig sein für menschliches Zusammenleben? In dem biblischen Gebot wird exemplarisch aufgezählt, was alles zum „Haus“ des Nächsten gehört, nämlich „Knechte und Mägde“, also Dienstpersonal, das darin arbeitet, oder etwa Nutztiere. Dabei wird deutlich, dass das biblische Gebot eine agrarisch geprägte Lebenskultur vor Augen hat. Doch nicht nur der Besitz des Nächsten steht unter dem Sammelbegriff „Haus“, sondern auch die Beziehungen, in denen er lebt; so ist beispielhaft von der „Ehefrau“ des Nächsten die Rede.

Ich verstehe das so: Im sozialen Miteinander gibt es einen persönlichen Freiraum oder Schutzraum, auf den jedes Individuum einen Anspruch hat. Was in diesen Schutzraum hineingehört, kann unterschiedlich sein. Jeder definiert es anders: Gut und Eigentum, Immaterielles wie soziales Ansehen oder Beziehungen. Wie auch immer! Jeder aber hat ein Recht auf diesen persönlichen Schutzraum. Und ungezügeltes Begehren kann das stören.
Positiv gewendet lautet das biblische Gebot also schlicht: „Gönne deinem Nächsten, was zu seinem Leben gehört.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25394
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