Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Alle Menschlichkeit baut darauf, dass ich mich in meinen Mitmenschen hineinversetzen kann. Und ich glaube, dass jeder Mensch diese Fähigkeit hat. In der Erziehung versuchen wir von Anfang an diese Fähigkeit bei unsern Kindern zu stärken: Du darfst den andern nicht hauen, das tut ihm weh. Du willst ja auch nicht gehauen werden. Man tritt nicht auf einen, der am Boden liegt, sondern hilft ihm auf. Stell dir vor, du würdest am Boden liegen, dann wärst du froh, wenn dir einer helfen würde.

 

Heute ist der Tag des Flüchtlings. Und ich weiß, dass die Frage, wie wir mit den vielen Menschen, die zu uns fliehen, umgehen sollen, schwierig ist. Das ist nicht einfach und es gibt da keine schnellen Lösungen. Aber es geht um keine geringe Frage als die der Menschlichkeit in unserer Gesellschaft.

Als Mann der Kirche rede ich mit Vielen über die Flüchtlingsfrage. Auch mit besorgten Bürgern, deren Bedenken ich gut verstehen kann. In diesen Gesprächen gibt es einen Punkt, wo meist Nachdenklichkeit eintritt. Dann nämlich, wenn ich frage: Was würdest du denn tun, wenn deine Familie am verhungern ist, wenn hier bei uns Krieg tobte, der einfach nicht aufhören will, wenn du einfach keine Chance mehr siehst für dich und deine Kinder? Meist folgt auf diese Frage erst mal ein Schweigen. Was mir zeigt, dass mein Gegenüber fähig ist, sich in den andern hineinzuversetzen, seine Ausweglosigkeit zu sehen,  ja fast schon zu spüren. Einige geben dann auch zu: Natürlich würde ich alles tun, um meine Familie durchzubringen. Andere drucksen rum und wollen auf die Frage nicht eingehen, sondern kommen mit dem bekannten Satz: Aber wir können doch nicht alle aufnehmen. Ja, das stimmt, wir können nicht alle aufnehmen. Aber genauso stimmt: Wenn ich an der Stelle des Flüchtlings wäre, würde ich wohl genauso handeln wie er.

Alle Menschlichkeit baut darauf, dass ich mich in meinen Mitmenschen hineinversetzen kann.

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25038
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