SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Bevor ich meine Tochter abends ins Bett bringe, möchte sie immer wieder dasselbe Buch lesen: Die kleine Raupe Nimmersatt. Auch ich habe das Buch in meiner Kindheit geliebt: Eine Raupe frisst sich unersättlich durch sämtliche Lebensmittel. Bis sie sich endlich in einen Kokon verpuppt und zu einem wunderschönen Schmetterling wird. Kein Wunder, dass das Lieblingstier meiner Tochter gerade ein Schmetterling ist. Daher sind wir auch seit geraumer Zeit auf der Suche nach Schmetterlingen, wenn wir draußen unterwegs sind, bisher leider erfolglos. Also gehe ich mit meiner Tochter in den Zoo. Dort gibt es ein großes Schmetterlingshaus. Wir bewundern gemeinsam das wilde Flattern und meine Tochter ist begeistert, endlich ihr Lieblingstier in echt zu sehen. Ich denke mir: Das kann doch irgendwie nicht sein!? Wir fahren extra in den Zoo, um Schmetterlinge anzuschauen. Wo sind all die Falter hin, die ich in meiner Kindheit noch in rauen Mengen bewundern konnte?

Und genau das frage ich eine befreundete Biologin. Sie erklärt mir, dass es in Europa in den letzten Jahrzehnten immer weniger Schmetterlinge gibt. Allein in den letzten 20 Jahren sind die Hälfte der Wiesen-Schmetterlinge ausgestorben. Die Artenvielfalt ist um 40 Prozent gesunken. Natürlich möchte ich wissen, woran das liegt. Aber eigentlich kann ich es mir fast schon denken: Es gibt immer weniger Felder und Wiesen, die Schmetterlinge brauchen, um sich fortzupflanzen. Straßenverkehr, Industrie und Viehzucht verändern die Atmosphäre derartig, dass auch andere Insekten kaum mehr die Chance haben, zu überleben.

Dass es immer weniger Schmetterlinge gibt, ist ein klares Zeichen dafür, wie rasant sich unsere Natur verändert. Denn Schmetterlinge reagieren sensibel auf Veränderungen unseres Ökosystems. Und dabei sage ich bewusst UNSER Ökosystem – denn es liegt in unserer Verantwortung, uns darum zu kümmern, denn auch wir sind Teil davon. Was können wir also tun?

Schon kleine, wild bewachsene Streifen, an Autobahnen, mitten in der Stadt oder an Bahngleisen helfen, um Lebensräume für Schmetterlinge und andere Insekten zu schaffen. Aber auch Gärten mit einem Stück Trockenwiese oder Wildwuchs tragen dazu bei. Ich lebe mit meiner Familie mitten in der Stadt. Da wird es schon schwieriger, ganz ohne Garten oder Wiese. Ich durchforste das Internet und lese, dass auch ein kleines Blumenbeet auf dem Balkon oder ein Fensterkasten neuen Lebensraum schafft. Also packe ich meine Tochter ein und wir fahren zum Baumarkt. Dort statten wir uns mit allem aus, was wir für ein Blumenbeet mit wilden Blumen so brauchen. Und wenige Stunden später hängt an unserem Fenster ein kleines Beet, das wir fortan gemeinsam gießen und pflegen. Dadurch lernen wir nicht nur, wie die Natur funktioniert, sondern wir bekommen auch ein Gefühl dafür, wie viel Wertschätzung und Aufmerksamkeit ein paar wilde Blumen von uns brauchen, um zu wachsen. Nicht nur meine Tochter, sondern auch ich werde sensibel dafür, dass es in unserer Verantwortung liegt, wie gut es der Natur geht. Und wer weiß, vielleicht flattert dann bald auch mal ein Schmetterling vorbei.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24807
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