SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Manchmal kann es ein Leben verändern, wenn man dem anderen richtig zuhört. Ein Bettler hat das erlebt, berichtet die Bibel (Lukas 18). Er war blind, hat vor der Stadt Jericho am Straßenrand gesessen und die Passanten angebettelt: „Helft mir doch!“ Aber niemand hat ihn gehört. Anscheinend hatten die Menschen anderes im Kopf. Keiner ist stehengeblieben und hat ihm geholfen. Da ist Jesus vorbeigekommen. Das hat der Blinde gemerkt und laut gerufen: „Jesus, hilf mir!“ Die Leute, die mit Jesus mitgelaufen waren, haben mit dem Blinden geschimpft: „Sei doch still!“ Es hat doch keinen Sinn, sich mit dem zu beschäftigen, haben sie vielleicht gedacht. Aber er hat noch viel lauter geschrien: „Jesus, hilf mir!“ Jesus hat das gehört, ist stehen geblieben und hat den Blinden gefragt. „Was soll ich für dich tun?“,. „Ich will sehen“, hat der geantwortet. „Du sollst sehen können!“, hat Jesus ihm da versprochen, „denn du vertraust mir.“ Da hat der Blinde gesehen und erlebt, was er vorher gar nicht kannte: Ein Mensch hat sich für ihn interessiert. Der Blinde konnte wieder sehen, wie schön die Welt sein kann.. Alle, die das miterlebt haben, haben gestaunt.

Mich berührt diese Geschichte. So einfach kann man ein Leben verändern, denke ich mir, indem man dem anderen erst einmal zuhört. Das klingt einfach. Ist es aber nicht. Zum Zuhören braucht es Zeit. Und Geduld. Und beides ist oft knapp. Andererseits scheinen Menschen für andere Dinge genug Zeit und Geduld zu haben: für das Fernsehen zum Beispiel. Mancher Ehemann hört dem Fernseher täglich länger zu als seiner eigenen Ehefrau. Und so leben sich beide auseinander, weil sie einander nicht mehr zuhören. Und das Leben wird fade und irgendwie einsam.

Zeit zu haben ist in diesen Wochen vor Weihnachten oft Mangelware. Rastlos hetzen die Menschen durch die Tage. Ich meine, es wäre gut, wir würden uns mehr Zeit füreinander nehmen. Zeit fürs Erzählen. Und fürs Zuhören. Denn beides tut gut. Beides befreit. Und bringt Menschen wieder näher zusammen. Einander mehr zuhören. Das wäre doch ein guter Vorsatz für die Adventszeit, finde ich. Damit der andere sagen kann: „Du hast mir zugehört. Das hat mir gutgetan. Jetzt kann ich die Dinge wieder mit anderen Augen sehen.“      

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23235
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