SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Am späten Abend kommen mir manchmal dunkle Gedanken. Besonders oft muss ich gerade an den katholischen Priester Jacques Hamel denken. Er ist während des Gottesdienstes erstochen worden. In einem kleinen Ort bei Rouen, wo er seine Zeit als Pensionär verbringt. Seine Attentäter sind zwei Fanatiker, die sich zum sogenannten Islamischen Staat bekennen. Es hat in diesem Jahr schon viele schlimme Attentate und Katastrophen gegeben, bei denen viele unschuldige Menschen ihr Leben verloren haben. Aber mit der Ermordung des alten Mannes in der Normandie hat das Dunkle eine weitere Dimension bekommen. Mich hat das sehr getroffen. Weil ich auch Priester bin und mir deshalb ausmale, wie das ist, mitten in der heiligen Handlung zu sein, versunken in die Begegnung mit Gott, und dann dort, am Altar, am heiligsten Ort, nieder gestochen zu werden. Eine schreckliche Vorstellung, ein verheerendes Bild ist das! Die Attentäter wollen damit offenbar die Konfrontation auf die Spitze treiben. The clash of civilisations, der Zusammenprall der Zivilisationen, wird in diesem Bild mit brachialer Gewalt sichtbar. Der wehrlose Christ wird von den kampfbereiten Muslimen nieder gestreckt. Es ist ein Kampf auf Leben und Tod. Und der Westen verliert ihn. Die IS-Kämpfer wollen den Hass derer anfachen, die sagen: „Da seht ihr's. Die Muslime machen unsere Kultur kaputt, ziehen unseren Glauben in den Schmutz. Sie treten das mit Füßen, was uns heilig ist.“ Zweifellos erfahren jene, die das denken, durch so eine Tat Auftrieb. Nicht weil der Getötete ein Priester ist und dessen Leben mehr wert wäre als das eines anderen. Sondern weil sie uns hier an unserer empfindlichsten Stelle treffen. Dort, wo es keinen Widerstand gibt, wo Nächsten-, ja Feindesliebe gepredigt und das Opfer gefeiert wird, das die Menschen miteinander und mit Gott versöhnen soll. Das alles schwingt mit, wenn ich mir das vor Augen führe, immer wieder, was da geschehen ist. Wie hinterhältig und gemein das ist. Wie böse und unmenschlich. Dann weiß ich aber auch, einen Augenblick später, dass ich mit Hass und Gegengewalt nicht weiter komme. Einer muss den Kreislauf durchbrechen, der immer neuen Tod hervor bringt. Und wenn's darauf ankäme, das weiß ich, will ich einer von denen sein, die sich nicht in die Spirale von Hass und Gewalt hinein ziehen lassen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22800
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