SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Brüder in ganz und gar unbrüderlicher Konkurrenz. Menschen, die ja eigentlich zusammen gehören, aber so konträr sind, dass sie es sich schwer miteinander machen. Wie soll das gut gehen?  Kann das überhaupt jemals gut werden?  Dieser unselige Wettstreit. Nicht nur unter Geschwistern. Die Rangfolgen, auf die wir manchmal so festgelegt sind. Die Rollen, die uns zugeteilt sind: Erstgeborner. Zweitgeborener. Es ist ja manchmal wirklich nicht fair, wie da Zuwendung und Gaben und Chancen verteilt sind.

Die Bibel erzählt diese alte, immer gleiche Geschichte. Sie erzählt von Esau und Jakob, den Zwillingen. Die beiden waren noch gar nicht auf der Welt, da haben sie sich schon gestritten. Wer wird der Erste? Wer setzt sich durch? Wer bekommt die meiste Anerkennung? Wer kriegt am Ende das Erbe?

Deswegen verstehe ich Rebekka gut. Rebekka, die Mutter der beiden ungleichen Söhne. Als sie endlich mit den beiden schwanger geworden ist und spürte, wie sie sich in ihrem Leib boxen und knuffen, da war sie sehr traurig, erzählt die Bibel. In ihrer Not hat sich Rebekka an Gott gewandt. Hat gebetet, meditiert, die Stille gesucht – jedenfalls: Irgendwann ist ihr klar geworden, was das soll, was Gott vorhat.

„Zwei Völker sind in deinem Leib … und ein Volk wird dem anderen überlegen sein. Und der Ältere wird dem Jüngeren dienen.“  So hat die Bibel das formuliert. Ein verwirrender Satz, zumal für eine werdende Mutter, finde ich. Das kommt mir vor wie ein Omen, ein Orakel, das weit über die eigene Familie hinaus geht. Ein bisschen bedrohlich.

Wie soll das werden, wenn Gott die bewährten Regeln außer Kraft setzt?  Aber ich finde, es ist auch eine wunderschöne Verheißung: Der Zweite ists!

Mit dem Zweiten hat Gott etwas Besonderes vor! Der Zweite steht für Gott an erster Stelle! Gott scheint eine besondere Vorliebe für die Menschen zu haben, die es nicht so schnell und gut schaffen wie andere. Oder die durch Recht und Herkunft bedingt nicht so gute Voraussetzungen haben wie andere.

Jetzt am Schuljahresende denke ich an die Kinder, die nach der vierten Klasse nicht aufs Gymnasium gehen. Ich denke an die jungen Leute, die nicht den Ausbildungsplatz bekommen haben, den sie sich erträumt haben. Und ich denke an die Eltern und Großeltern, die sich da viele Gedanken machen.

Der Zweite: eben kein Loser, kein Versager. Sondern im Gegenteil einer, der vollen Respekt verdient, insbesondere durch die an erster Stelle. Ja, gerade die haben eine besondere Verantwortung. Gerade die sollten die anderen wertschätzen und nicht durch ihre Arroganz beschämen. Oder durch ihr Mitleid. Die Ersten, denen alles zufällt und alles leicht fällt, die können für die Zweiten sorgen. Dass auch die zu ihrem Recht kommen. Ich glaube, dass das zu einem fairen Miteinander beiträgt.
Gott jedenfalls achtet darauf, dass auch der Zweite nicht zu kurz kommt.

 

Der Zweite ists! Auf den Zweiten achtet Gott besonders und sorgt selbst dafür, dass die nicht zu kurz kommen, die es nicht auf den ersten Platz schaffen. Darum geht’s in der Geschichte von Esau und Jakob, diesen ungleichen Brüdern. Aber ihre Geschichte geht in dem Augenblick schief, als Jakob, der Zweite, sie selbst in die Hand nimmt.

Auf ganz unfaire Weise versucht er, sich auf den ersten Platz zu setzen. Auch davon weiß die Bibel zu berichten und zeigt an einer Alltagssituation, wo es hakt: Eines Tages hatte Jakob daheim einen Linseneintopf zubereitet. Da kam Esau mit Heißhunger vom Feld nach Hause.

„Hm. Linsen. Toll, Bruder. Gib mir einen Schlag!“
„Aber klar doch! – Was krieg ich denn dafür?“
„Was willst du denn dafür?“ „
Gib mir dein Erstgeburtsrecht, und du kriegst die Linsen!“
„Okay. Gib schon!“ „Schwörst du´s?“
„Mann, ich hab Hunger. Ja!“

So stelle ich mir das Gespräch zwischen den beiden Brüdern vor. Eine kurze Verhandlung mit weitreichenden Folgen. So kann es gehen, wenn Menschen sich benachteiligt fühlen. Wenn sie keine Chance sehen, aus eigener Kraft voran zu kommen. Dann ist ihnen jedes Mittel recht. Dann fragen sie nicht, ob das fair ist, was sie tun. Und das Verhältnis zwischen Brüdern zerbricht. Jetzt werden sie zu Konkurrenten. Zu Feinden. Ich glaube, das hat sich Gott anders vorgestellt.

Esau und Jakob waren doch Brüder. Und wenn ein Bruder Hunger hat, dann geb ich ihm was zu essen. Wenn ein Bruder vor Hunger fast umkommt, dann nutze ich diese Situation nicht aus und setze ihn unter Druck. Warum hat Jakob Gott nicht mehr vertraut und ist einfach nur Bruder gewesen, Mitmensch? Darauf kommt es doch an, auch heute.

Das Nötige tun. Ohne Hinterabsichten. Ohne Berechnung. Ohne die Frage, was bringt mir das und was bietet der andere als Gegenleistung? Es gibt da so eindrückliche Beispiele.
Die Hilfsbereitschaft bei den Leuten in den Hochwassergebieten, die ich im Fernsehen gesehen habe.
Dieses Engagement in den Cafés international, die es bei uns ringsherum als Anlaufstelle für Flüchtlinge gibt. Erstmal helfen und für das Nötigste sorgen.

Alles Weitere kann man später klären. Ob mir das gelingt, wenn ich als Mitmensch gefordert bin? Esau und Jakob hätten nicht zu Feinden werden müssen, glaube ich. Mit ein bisschen mehr Gottvertrauen hätten die ungleichen Brüder es nebeneinander ausgehalten. Denn Gott würde dafür sorgen, dass keiner von ihnen zu kurz kommt. Ich wünsche Ihnen einen erholsamen Sonntag! Bleiben Sie behütet und kommen Sie gut durch die neue Woche!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22208
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