SWR2 Wort zum Tag

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„Überfordert“ – das sind heute die Kinder von der Schreibschrift, die Mütter von schreienden Säuglingen, die Lehrer von kritischen Eltern. Überfordert – das ist der Straßenbahnbenutzer von dem Kauderwelsch an den Fahrkartenautomaten, Hundebesitzer von ihren Dackeln, die nicht stubenrein werden – und das bin ich von meinem PC. Überfordert – das ist heute der „Universalschlüssel zur Entschuldigung der Menschen“, schreibt der Philosoph Peter Sloterdijk. „Wir wollen den Menschen nicht mehr anspornen, sondern ihm das gute Gewissen machen, dass er nicht ist, wie er soll.“ Stattdessen trösten und entschuldigen wir uns gegenseitig mit dem Gedanken: „Das ist zu schwer für mich, das kann ich gar nicht leisten. Da bin ich einfach überfordert.“ Aber wer ist daran schuld? Und bei wem soll ich das einklagen?

„Überfordert“ - Adam und Eva hätten sich auch schon gut darauf berufen können. Arglos saßen sie im Paradies, hatten wirklich nichts zu tun als sich ihres Lebens zu freuen. Dann kam die Schlange mit ihrem verwirrenden Angebot. Angeblich hatte niemand die beiden darauf vorbereitet und eh sie sich versahen, wurden sie zur Rechenschaft gezogen und fanden sich schon auf hartem, dornigen Acker vor der Tür des Paradieses wieder. War das nicht unbarmherzig? Hat Gott sie nicht einfach überfordert?

Und Kain, ihr Sohn, der seinen Bruder Abel ermordet hat? Wer weiß, vielleicht fühlte er sich schon von Kindesbeinen an zurückgesetzt. Immer hieß es: Abel hier, Abel dort. Wo blieb Kain? Und dann landete er auch noch im falschen Beruf: Kleinbauer statt Viehzüchter. War es wirklich so erstaunlich, dass er eines Tages zum Knüppel griff und Abel erschlug? War er nicht einfach überfordert? Aber, so erzählt die Bibel, Gott rief ihn zur Rechenschaft, und auf die patzige Antwort Kains: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ lautete die Antwort Gottes sinngemäß: „Klar doch, auch wenn es noch so schwer fällt.“

Immer schon kannten die Menschen das Gefühl in einer Sackgasse gelandet zu sein, am Ende ihrer eigenen Kraft zu sein. Und gar nichts spricht dagegen, darüber zu jammern. Aber bevor man den „Universalschlüssel zur Entschuldigung“ in die Hand nimmt, glaubt: „Jetzt bin ich überfordert“ und sich selbst behandelt wie ein kleines Kind, kann man sich auch zureden und sagen: „Gott legt uns eine Last auf; aber er hilft uns auch.“ (Ps 68) So heißt es ganz schlicht im Psalm 68. Ein weiser Ansporn nicht aufzugeben im Leben, diesem Gepäckmarsch durch schwieriges Gelände.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21533
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