Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Ihren Ausweis bitte!“ Es wird wieder kontrolliert.
Die Europäische Union schottet sich ab, und jedes Land für sich dann noch mal. Auch Deutschland.
An der deutsch-schweizerischen Grenze habe ich das letzte Woche erlebt. Auf einer Bahnfahrt nach Mainz, kurz hinter Basel auf deutschem Gebiet, kamen Polizisten in den Zug. Sie überprüften Menschen und Personalien.
Mit drei anderen saß ich an einer Tischgruppe im Großraumwagen und wartete, bis wir an der Reihe waren.
Es ist einem ja immer etwas unwohl, wenn die Polizei etwas will.
Die alte Dame aus Göttingen im rosa Pullover kontrollierten sie nicht.
Mich auch nicht – ob das an der Krawatte lag? Aber der Zürcher mit dem Dreitagbart und der Plastiktüte, der musste Rede und Antwort stehen und seinen Ausweis vorzeigen.
Und auch der vierte von uns, ein junger Mann, dessen Eltern aus Sri Lanka stammten, musste in schönstem Hochdeutsch erklären: ich fahre nach Hause – nach Ostfriesland.
Ich muss zugeben, ich habe mich ein bisschen geschämt. Für die Polizisten sah ich anscheinend so deutsch, so solide, so – wie auch immer – aus, dass ich nicht kontrolliert wurde.
Mit der Ausweiskontrolle wurden Grenzen zwischen Menschen errichtet, die es gar nicht mehr gibt. Mit einem Spruch aus der Bibel hätten wir alle zusammen sagen können:
Haltet uns nicht auf, denn Gott hat Gnade zu unserer Reise gegeben.
Es ist eine Gnade, Grenzen überschreiten zu dürfen. Es tut unserem Zusammenleben in Europa gut. Es entsteht ein Gefühl von  Freizügigkeit, nicht nur im Zug.
Es ist absurd und grotesk, wenn Menschen jetzt wieder nach Aussehen und Äußerlichkeiten beurteilt werden auf der Suche nach Flüchtlingen.
Die einen ja, die anderen nein – so kann man Menschen heute nicht mehr auseinanderdividieren in unserem Land!
Ich habe mir vorgenommen: das nächste Mal, wenn kontrolliert wird, zeige ich unaufgefordert meinen Ausweis. Gleiches Recht für alle! Noch besser wäre aber gleiche Gnade für alle: errichtet keine neuen, alten Grenzen zwischen Menschen und Ländern! Haltet uns nicht auf, denn Gott hat Gnade zu unserer Reise gegeben.

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