SWR2 Wort zum Tag

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In manchen Hotelzimmern liegen Bibeln. Besser gesagt: Teilbibeln. Sie enthalten das Neue Testament und vielleicht noch die Psalmen, aber das Alte Testament fehlt. Passt doch, sagt jetzt der Theologieprofessor Notger Slenzka. Er ist der Auffassung, dass für die christlichen Kirchen nur die Schriften des Neuen Testaments verbindlich seien. Nur in ihnen sei schließlich von Jesus Christus die Rede. Viele haben ihm widersprochen.
Schon im 2. Jahrhundert hatte ein Gelehrter namens Markion eine ähnliche Position vertreten. Doch schon damals hat sich die Kirche gegen diese Auffassung gewendet und festgehalten: Die Glaubenserfahrungen des Alten wie des Neuen Testaments verkündigen den Einen Gott, Schöpfer der Welt, Gott Israels, der in Christus Mensch für alle Menschen geworden ist. Das geschieht in vielstimmiger Weise in den ganz unterschiedlichen biblischen Büchern.
Na gut, könnte man sagen, ein innertheologischer Streit, für wen soll das sonst noch wichtig sein? Es interessiert sich ja ohnehin kaum einer noch für die Bibel. Ich finde nicht, dass das stimmt. In das Allgemeinwissen unserer Zeit sind viele biblische Gedanken eingeflossen. Manches aber sehr verkürzt, eigentlich sogar falsch.
So wird zum Beispiel regelmäßig in Nachrichten oder politischen Debatten behauptet, der Gedanke von Rache und Vergeltung führe sich auf einen sogenannten alttestamentarischen Rachegott zurück, der sei anders als der im Neuen Testament. – Aber die Bibel zeichnet Gott in beiden Testamenten als Gott voll Liebe, Güte, Vergebung und Barmherzigkeit. Zwar behaupten religiös motivierte Gewalttäter, sie handelten nach Gottes Willen, Kämpfer des Islamischen Staates genauso wie extreme jüdische Fanatiker oder christliche Abtreibungsgegner, die zur Waffe greifen. Aber sie alle missbrauchen die religiösen Texte. Sie rechtfertigen ihre eigenen Taten, indem sie behaupten, sie seien gottgefällig.
Ich finde, das erkennt man gerade dann, wenn man genau hinschaut. Es ist wohl richtig: Manche Psalmen im Alten Testament sprechen davon, dass Gott als richtender und rächender Gott in den Menschenstreit eintritt. Aber das richtet sich immer gegen die eigenen Rachegefühle und gegen die Rachetaten von Menschen. Bei Gott liegt es, Recht und Gerechtigkeit zu üben. Da ist die ganze Bibel ganz eindeutig.
Wer die Bibel liest, sollte die ganze Bibel in die Hand nehmen, als Zeugnis der Glaubenserfahrungen von Menschen mit Gott, der die Menschen liebt – so aufgeschrieben im Alten wie im Neuen Testament.

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