SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Ich sitze im Café und warte auf eine Tasse Tee. Die Bedienung stellt ein kleines Tablett auf den Tisch: heißes Wasser, Teebeutel, Zucker und eine Sanduhr. Aha, hier geht´s nobel zu. Man kann mit der Sanduhr die Teestärke selbst dosieren. Also gut. Erst auf den zweiten Blick bemerke ich, dass die Sanduhr nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben läuft – wie wenn die Schwerkraft ausgehebelt wäre. Der obere Kolben ist mit einer Flüssigkeit gefüllt. Im unteren Kolben sind kleine Kügelchen, die wohl leichter sind und deshalb nach oben an die Oberfläche blubbern.

Ich bin fasziniert von der Technik. Aber auch von der Idee, dass Zeit mal anders vergehen kann als normal. Nicht von oben nach unten – sondern eben andersrum. Urlaub ist für mich so eine Zeit. Und deshalb macht es mir nichts aus, wenn ich im Urlaub auf manche Annehmlichkeit verzichten muss: ohne PC, Internet oder Spülmaschine zum Beispiel. Dafür habe ich Lust und Zeit für andere Dinge: draußen schlafen, mit den Kindern aufs Trampolin, seelenruhig alle Geschwindigkeitsbegrenzungen einhalten, Enten füttern, einen Regentag nur vor dem Fernseher verbringen oder mal wieder in einem Tante Emma Laden einkaufen. Für mich macht das den Urlaub zu einer anders-Zeit.

Anders zu sein als normal kann Grenzen verschieben, neue Horizonte eröffnen. Das kann richtig erfrischend sein. Schade, dass ich es meistens nur im Urlaub bin. Der österreichisch-ungarische Autor Ödön von Horvath hat mit einem Spruch den Nagel auf den Kopf getroffen. Er hat nämlich gesagt: „Ich bin eigentlich ganz anders, aber ich komme so selten dazu.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20262
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