SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

sind nicht eure Gedanken
Was ich immer wieder erlebe: Patienten, die sagen: „Ich glaube nicht mehr an Gott! Wie kann Gott einen anständigen Menschen so quälen, so mit Krankheit strafen? Wie kann der nur so ungerecht sein? So blind? So brutal?“ Und dann beschimpfen sie Gott, an den sie eigentlich nicht mehr glauben. Warum? Wozu?
Vielleicht erklärt ein Erlebnis, das Arthur Rubinstein, der große Pianist, von sich berichtet, diese Reaktion. Als kleiner Junge verliert Rubinstein er seine liebste Freundin: Noemi war ein Scharlach gestorben.
Er ist untröstlich. Und empfindet einen „unstillbaren Groll gegen irgendwen und irgendwas.“ Als er eines Nachts schlaflos im Bett liegt, lag, weißt er plötzlich, wer schuld ist am Tod seiner kleinen Freundin: „ Gott war es. Gott, zu dem mein Großvater so inbrünstig betete ..“ Gott, von dem man ihm gesagt hatte, er sei allwissend ist und allmächtig. „Wieso fragte ich mich, kann er dann etwas so Grauenvolles und Ungerechtes tun?“ Etwa aus Unachtsamkeit? Hatte er sie einfach vergessen? Das konnte doch nicht sein. Und wenn es vielleicht gar keinen Gott gab? Wenn alles nur eine Kindererzählung war? „Ich musste herausfinden, ob es ihn wirklich gab,– ja, das musste ich wagen, und koste es mein Leben“, erzählt Rubinstein. Und der kleine Junge hält  „den Atem an“ und denkt „mit Todesangst im Herzen diese schrecklichen Worte: Gott ist ein Narr! Ich erwartete sein sofortiges Erscheinen, einen tödlichen Schlag, zumindest grollenden Donner: Es geschah nichts. Ich sprach diese grauenhafte Beleidigung nunmehr laut aus, und wieder geschah nichts.“  
Kein Donner, kein tödlicher Schlag. Es geschieht nichts. Aber wofür ist das der Beweis? Dass es Gott nicht gibt? Dass er sich nicht provozieren lässt? Dass es doch recht kindlich ist, sich Gott nur als nur als lieben Gott vorzustellen? Oder ist das nur ein winziger Hinweis darauf, dass Gott eben kein Mensch ist, der sich durch Beschimpfungen aus der Reserve locken lässt?
„Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken. Und meine Wege sind nicht eure Wege“, heißt es in der Bibel. Was ja soviel bedeutet wie: „Bei aller Liebe, zwischen uns besteht doch ein gewaltiger Unterschied. Ich bin nicht wie ihr und ihr seid nicht wie ich.“ Gott geht nicht  in unseren menschlichen Wünschen und Vorstellungen auf.  Es bleibt ein unauflösbarer Rest, den wir anerkennen müssen, auch wenn es weht tut. Aber genau dieser unauflösbarer Rest macht den Unterschied zwischen Gott und Mensch.  

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