SWR2 Wort zum Tag

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Vor ein paar Wochen war ich wieder einmal an meinem liebsten geistlichen Ort: In Taizé im französischen Burgund, wo jährlich viele Tausend junge, zuweilen auch schon etwas ältere Leute zusammen kommen, um mit einer ökumenischen Brüdergemeinschaft zu beten und zu singen. Und auch um sich auszutauschen über ihren Glauben und über Vertrauen, Frieden, Versöhnung. Was mir dieses Mal besonders auffiel, war die Art und Weise, wie der 100. Geburtstag des Gründers, Frère Roger Schutz begangen wurde. Dieser Frère Roger war in vielerlei Hinsicht eine beeindruckende Persönlichkeit: Er war sehr charismatisch und hat unzählige Menschen durch seine Worte, Gesten und Ausstrahlung inspiriert. Er kam 1940 in das kleine burgundische Dorf und hatte den Plan, dort eine Gemeinschaft zu gründen, die mitten im Krieg das vorlebte, was so notwendig war: Versöhnung. Zusammen mit seiner Schwester versteckte er jüdische Flüchtlinge, hier an der Demarkationslinie zwischen dem von Nazi-Deutschland besetzten und dem nicht-besetzten Teil Frankreichs. Nach Kriegsende hatte er das gleiche Mitgefühl für deutsche Kriegsgefangene. Er versammelte Menschen um sich, die von seinen Gedanken und Taten angesteckt wurden und diese Gemeinschaft steckte wiederum junge Menschen an, dort mitzuleben, mitzuarbeiten und die einzigartige Atmosphäre zu erfahren. Immer mehr wurden es und immer bekannter wurde der Gründer des Ganzen. Auch die Gemeinschaft der Brüder wuchs stetig und hat inzwischen ca. 100 Mitglieder aus protestantischen und katholischen Kirchen aus 25 Nationen. Einige von ihnen leben in Armenvierteln in Lateinamerika, Asien und Afrika. 

Was mir nun kürzlich bei meinem Besuch in Taizé auffiel, ist, mit welch großem Respekt zu diesem hundertsten Geburtstag an Roger Schutz gedacht wird und wie diesem Gedenken dennoch jeder Personenkult fremd ist. Es wurde über seine Worte nachgedacht, aber in völlig unaufgeregter Weise.

Und noch eine Sache ist beachtlich: Man hätte man sich vorstellen können, dass nach seinem Tod im Jahr 2005 sein Werk an Faszination verliert, weniger Jugendliche kommen, weniger Inspiration von Taizé ausgeht. Aber nichts dergleichen ist geschehen. Es kommen genauso viele wie vorher.

Das nenne ich ein gelungenes Leben, wenn so viele Menschen vom Geist eines Menschen angesteckt sind und man ihn doch nicht auf einen Sockel der Verehrung heben muss – wenn er Charisma und Ausstrahlung besaß, wie wenige andere und der trotzdem nicht alles von seiner Person abhängig gemacht hat.

Chapeau, Frère Roger Schutz!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19992
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