Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Mann, ist der behindert!“ Ein Satz, einfach so dahingesagt, letzte Woche in Mainz in der Straßenbahn, von Jugendlichen auf der Heimfahrt von der Schule. Sie sprachen über einen Mitschüler, der in Mathe nicht gut ist und wohl nicht in die nächste Klasse versetzt wird.

Ich gebe zu, dass ich einfach nur entsetzt war. Am Liebsten hätte ich mich in das Gespräch eingemischt, hätte einfach gerne gesagt, dass man so nicht über einen Mitschüler, am besten über keinen Menschen sprechen sollte. Doch wir kamen am Bahnhof an und mussten alle  aussteigen.

„Mann, ist der behindert!“ – Zwei Dinge gehen mir dazu im Kopf herum: Ich kenne einige Menschen, die mit ihren Einschränkungen, ihre Behinderungen  bewundernswert umgehen, mehr noch: Die ihre Grenzen, die einen Unfall oder eine Einschränkung von Geburt an für sich angenommen haben. Die damit leben können. Die damit leben wollen. Wie muss ein solcher Satz auf sie wirken: „Mann, ist der behindert!“?

Und das Zweite: Wie gehen wir als Gesellschaft, wie gehen wir als Mitschüler oder als Kollegin mit Menschen um, die Grenzen haben, die nicht perfekt sind, die anders sind als andere? Darf man in unserer Zeit Schwächen haben und diese auch zeigen? Muss alles perfekt sein, schön, gesund und erfolgreich? Ich fürchte um das Klima in unserer Gesellschaft, sollte ein solches Denken mehr und mehr um sich greifen.

Auch ich habe Grenzen, auch wenn die nicht so offen liegen wie bei Menschen, die als Behinderte gelten. Auch ich bin nicht perfekt, auch ich bin in irgendeinem Sinne behindert, weil ich ohne die Hilfe von anderen Menschen nicht leben kann.

„Mann, ist der behindert!“ – Nein! Das kann man anders sehen: Mann, hat der Fähigkeiten! Mann, wie kann ich jemandem weiterhelfen! Mann, die Mitschülerin ist schlecht in Physik, aber sympathisch und eigentlich ganz okay.

Mann!

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