SWR2 Wort zum Tag

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Ein Punkt kann entscheidend sein. Im Wortsinn, ein entscheidender Punkt. Jürgen Ebach, Theologe und Fachmann für Altes Testament hat mir das deutlich gemacht: Wie entscheidend ein Punkt sein kann, beim Übersetzen eines Wortes von einer Sprache in eine andere. In diesem Fall aus dem Hebräischen, der Sprache des Alten Testaments, ins Deutsche. Sprache ist manchmal punktgenau.
Im konkreten Fall geht es um einen Satz aus Psalm 104. Da steht, von Luther aus dem Hebräischen übersetzt: „Die Sünder sollen ein Ende nehmen auf Erden“.
Sünder heißt Hebräisch Chattaim, geschrieben mit Doppel-T. Chataim mit einem T, hieße ‚Sünden‘. Dann hieße der Satz: „Die Sünden sollen ein Ende nehmen“. Schon ein Unterschied.
Aber was hat das jetzt mit Punktgenauigkeit zu tun, fragen Sie?
Im biblischen Hebräisch wird ein Buchstabe nicht verdoppelt, indem man ihn zweimal schreibt, sondern indem man einen Punkt hinein macht. Das macht in diesem Fall den entscheidenden Unterschied: Gehört der Punkt ins T oder nicht? Zwei T oder eins? Ob der Punkt von Anfang an im T war, man weiß es nicht. Die Punkte zur Lesegenauigkeit wurden erst gesetzt, als der biblische Text schon Jahrhunderte alt war. Also hat Luther übersetzt. „Die Sünder sollen ein Ende nehmen auf Erden“.
Wenn man diesen Satz nicht nur in Sprache übersetzt, sondern auch ins Leben, dann merkt man noch mehr, wie entscheidend dieser Punkt ist.
Er ist Teil eines Psalms, eines Gebets. Was soll man beten, worum Gott bitten?
Dass die Sünden ein Ende nehmen oder die Sünder?

Aber, wer bliebe übrig, wenn Gott die Bitte nach dem Ende aller Sünder tatsachlich erfüllen würde? Ich selbst doch auch nicht. Sünder sind nicht immer nur die anderen. Insofern, theoretisch scheint die Antwort naheliegend.
Und in Wirklichkeit? Da sieht es oft anders aus. Immer wieder ist man versucht, nicht die Sünden, sondern Sünder zum Teufel zu wünschen. Es scheint wie die Befreiung von allem Übel, wenn die nicht mehr da wären, die böse wollen oder tun. Womöglich haben die Gelehrten damals so gedacht und entsprechend den Punkt gesetzt.
Und wie oft wünschen Menschen andere, die sie für Sünder halten, nicht nur zum Teufel, sondern legen selbst Hand an. Bis hin zu Kriegen gegen die Bösen. Oder eine Gesellschaft soll „sauber“ werden, indem man Sünder wegsperrt.
Wie viel tun Menschen einander immer wieder an. Weil wir den entscheidenden Punkt so setzen, dass nicht die Sünden verschwinden sollen, sondern die Sünder.
Ich glaube, es ist wirklich entscheidend, diesen Punkt genau zu setzen: Gott möge den Sünden ein Ende machen und die Sünder zur Umkehr bewegen.

 

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