SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Wie duftet es in diesen Tagen in Obstbaumwiesen.
Wie prächtig leuchten Äpfel und Birnen.
Ich freue mich an bizarren Formen von Obst und Gemüse.
Möhren, gewachsen wie Menschenkörper, Tomaten mit Gesicht, Kartoffeln in Herzform. Auch Schorf an einer Pflaume oder einem Apfel gehört für mich dazu – vertreibt nicht meine Lust, da reinzubeißen.
Doch kommen diese Sonderlinge auch in den Warenkorb? An den Gemüsestand?
Viele werden vorher ausgemustert. Sie passen nicht in eine uniformierte Verpackung. Sie erfüllen die verlangten Qualitätsstandards nicht, sie sind nicht makellos.
Bei Selbstvermarktern und Hofläden fallen diese Sonderlinge nicht alle raus.
Da gibt es oft Unförmiges, in allen Größen. Doch auch große Handelsketten haben unlängst nachgezogen, verkaufen ausdrücklich „eigenwilliges Gemüse”. Also Obst und Gemüse mit Schönheitsfehlern. Oder - wie es in einer Werbung heißt - Äpfel, Karotten und Kartoffeln mit „eigenwilligem” Aussehen zu einem günstigen Preis. „Die Reaktion der Kunden ist sehr positiv”, sagen Firmensprecher.
Ich finde, das ist eine schöne Entwicklung.
Nicht nur, damit nicht verkommt, was uns ernähren kann.
Ich denke, wie ich auf Obst und Gemüse schaue – wie ich Normales und Unnormales unterscheide, das hat tiefere Gründe.
Gründe, die mit meinem Lebens- und Weltverständnis zu tun haben.
Man kann ja sagen: Diese unnormalen Früchte wachsen zufällig so. Das kommt vor. Ein Teil gerät. Ein Teil missrät. Der Gemüsebauer und Biologe hat nur noch nicht raus, wie das zu perfektionieren ist. Daran kann man arbeiten.
Ich kann aber auch sagen: Wie wunderbar – und mich daran freuen.
Und hinzufügen: So ist es in Gottes Schöpfung gewachsen.
„Jedes nach seiner Art“ – und auf seine eigene Art und Weise.
Dann wächst so etwas wie eine Achtung und Achtsamkeit für das angeblich Makelhafte. Eine Wertschätzung für Früchte und „Früchtchen“ aller Art.
Das macht etwas mit meinem Empfinden und Erleben, das ist wie ein Gleichnis für mein eigenes Leben:
An sonderbaren Früchten entdecke ich für mich, wie reizvoll und wertvoll ein Leben mit Macken ist. Das nicht uniformierte, das befleckte Leben, das nicht in Standards passt. Wer kennt nicht Macken an sich selber, Seiten, die nicht der Norm genügen.
Diese Sonderheiten – diese Macken – sind nichts, was weg muss.
Sie gehören zu meinem Leben. Sie machen das eigene Leben aus.
Nehmen wir diese Seiten an uns auch als gute Gabe Gottes an. Wir haben guten Grund dazu.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18253
weiterlesen...