SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Als mein früherer Professor zur Tür hereinkommt und ich seine beiden Gehstöcke sehe, erkenne ich ihn fast nicht mehr. Ich habe nicht gewusst, dass er krank ist.

Er hat mich zu seiner Emeritierung, seinem Abschied als Professor von der Universität eingeladen. Über 30 Jahre hat er sich mit den Grundfragen des Glaubens beschäftigt. Also mit Fragen wie: was glaube ich eigentlich? Was trägt und hält mich? Und wie bringe ich Glauben und Denken zusammen?

Und dann kommt er auf mich zu und kann sich kaum auf seinen Beinen halten. Ich habe einen großen Kloß im Hals. Und ich glaube, er hat es mir angesehen.

„Am Anfang wollte ich sie einfach nicht wahrhaben, diese Krankheit“, erzählt er mir später. Parkinson im fortgeschrittenen Stadium. „Ich habe dagegen angekämpft und so getan, als wäre nichts. Ich dachte, dann verschwindet die Krankheit vielleicht.“ „Aber jetzt“, sagt er, „ist sie da und das ist schlimm für mich. Aber“, sagt er weiter, „ich war 60 Jahre lang gesund, ich will nicht jammern.“ Während er versucht mir in die Augen zu schauen, hält er mit seiner Hand seinen Kopf fest. Es tut mir so weh, ihn so zu sehen. Und doch höre ich noch ganz genau den sanften Klang seiner Stimme, die theologische Brillanz aus jedem seiner Worte. Und ich spüre seinen Lebensmut. Seine Frau ist nun die Starke an seiner Seite. Obwohl – er kann es nicht ganz lassen. Er lässt ihr immer noch den Vortritt. Er steht auf, um ihr seinen Sitzplatz anzubieten, obwohl er kaum stehen kann.

Mit einem Lächeln beobachte ich das alles. Und dann tritt er nach all den Gastrednern und den vielen klugen Worten ans Rednerpult und hält seine letzte Vorlesung. Es wird ganz still im Raum. Seine Rede ist kurz, sehr kurz. Er habe immer versucht, seine Theologie an die Studierenden weiterzugeben. Dass Gott uns liebt, bedingungslos. Das ist ihm wichtig. Dann entschuldigt er sich dafür, dass er aus gesundheitlichen Gründen jetzt nicht mehr so kann, wie er will. Und er bedankt sich für die Treue seiner Freunde, seiner Kollegen und zuletzt bei seiner Frau. Ich schlucke. Und dann zitiert er seinen Lieblingssatz aus der Bibel: „Seid stets bereit jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt
(1 Petrus 3, 15).“ Bei diesen Worten muss er sich am Pult festhalten. Laut und klar sagt er dann: „La vita è bella – trotzdem“, „das Leben ist schön, trotzdem“. Er geht vom Pult ab – die beiden Gehstöcke fest in der Hand. Danke, Herr Professor!

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18168
weiterlesen...