SWR1 Begegnungen

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So hat man Kirchenlieder bisher nicht gehört: So wie Sarah Kaiser sie singt. Die stimmgewaltige Sängerin macht derzeit Furore mit ihrem Mix aus Gospel, Soul und Jazz, mit dem sie abgesungene und wohlbekannte Kirchenlieder in ein unerhört neues Gewand kleidet. Was Sarah Kaiser umhaut: Wie ihre Interpretationen bei vielen Menschen ankommen.

Die Leute sind fasziniert davon, wie diese alten Texte plötzlich wie aufgeschlossen werden. Also wie kraftentfaltend. Durch diese Kombination mit unserer modernen Musik. Dass sie sagen: Oh, Ich hab plötzlich den Text das erste Mal verstanden. Oder: Zugehört. Oder: Bo, das ist wirklich stark das Lied.

Jazz, Gospel, Soul und lateinamerikanische Rhythmen – nicht gerade der Stoff, aus dem Kirchenlieder sind. Die Sängerin Sarah Kaiser beweist das Gegenteil. Auf ihrem dritten Album – »Geistesgegenwart« – bringt sie neue Musik und alte Lieder in ein spannendes Gespräch. Zum Beispiel das alte Lied: »Christ ist erstanden«. Das klingt in jedem Gottesdienst sicher anders. Die junge Jazzsängerin Sarah Kaiser hat sich trotzdem an alte Kirchenlieder gewagt. Auf ganz ungewöhnlich Weise. Doch für Sarah Kaiser lag gerade diese Art von Musik nahe. Eine Musik, die sich nicht so recht einordnen lässt.

Ich hab Jazzgesang studiert, und es ist so die hauptmusikalische Sprache, in der ich mich bewege. Wobei das schwer trennbar ist. Also meine Musik: Die Popper sagen: Es ist Jazz, die Jazzer sagen, es ist Pop. Und ich sag: Schubladen ade.

Sarah Kaiser ist in vielen Musikstilen zu Haus. Sie singt in einem Jazzvokalensemble und leitet in Berlin den Gospelchor »Soul 2 Soul«. Doch Erfolge feiert sie mit ihren Neuaufnahmen alter Kirchenlieder. Was reizt sie an diesen Liedern?

Die Sprache, die Poesie, also es ist wirklich für mich im Vergleich zu moderner Lyrik eine besondere Poesie. Paul Gerhardt ist für mich ein Meister darin, Sprache zu gebrauchen, mit Reimen, poetisch und da Bilder mit zu malen und dadurch Assoziationen hervorzurufen, die man im normalen Leben einfach nicht benutzt, es ist einfach stark, es ist sprachlich stark.

Ich hake nach. Alte Kirchenlieder, so frage ich sie, sind für eine junge Frau nicht gerade nahe liegend. Sarah Kaiser gibt zurück:

Warum nicht, warum ist das nicht nahe liegend? Es ist, wie gesagt, Poesie. Wir feiern das Schiller-Jahr, wir feiern das Goethe-Jahr und beschäftigen uns damit, wir pflegen das Erbe. Ich bin jetzt kein Freak für alte Literatur. Aber diese Schiene, diese Kombination, diese moderne Musik, diese Texte, dieser Inhalt,. Das hat für mich ne echte Faszination.

Doch was fasziniert die junge Frau mit dem modischen Haarschnitt, die mir mit einem lässigen T-Shirt gegenübersitzt an altertümlichen Begriffen und ungewohnten Redewendungen?

Das ist für mich eigentlich glaub ich gerade das Reizvolle daran, es ist ein bisschen um die Ecke gedacht. Es ist eben nicht so völlig platt.

So erweckt Sarah Kaiser abgesungene Songs zu neuem Leben. Auch dank der Ausstrahlung der stimmgewaltigen Sängerin werden sogar Choräle ziemlich sexy. Das Publikum reagiert entsprechend. Und bestätigt das Experiment Sarah Kaisers, Jazz und Choral miteinander zu versöhnen.

Und dann merken wir halt: Die Musik ist ein Schlüssel, macht auf, erschließt noch mal ne neue Dimension. Und: Für mich ist es so, die Musik dann auch ein Schlüssel, die das Schöne an dieser Dichtung herausholt.
Ein Beispiel dafür:
Ein Klassiker ist „Gast auf Erden“ von Paul Gerhardt. Ich hab von diversen Leuten schon gehört, die dieses Lied in einer Zeit der Trauer, weil ein lieber Mensch gestorben ist, gehört haben und es sie ganz tief getragen hat in der Zeit. Wo ich denke: Wow, was will man mehr?


Sarah Kaiser ist über Umwege zum Jazz und ihrer Liebe zu Kirchenliedern gekommen. Zu Hause erfährt sie nicht viel über Glauben und Kirche.

Ich war Kind der 80er, typischer Großstadt-Teenager, es war nicht so spannend, was ich da mitgekriegt hab in der Kirche.

Das verändert sich erst, als sich Kaiser in England aufhält. Sie trifft auf Menschen, die sich dem Glauben intensiv beschäftigen. Und so kommt auch Sarah Kaiser irgendwann an einen Punkt, wo sie für sich wissen will:

Wer Jesus war, wofür er gelebt hat, gestorben ist. Und hab das halt geprüft, was so die Behauptung sind des Christentums und hab mich damit sehr stark auseinandergesetzt. Und hab dann einfach gemerkt: Ich muss mich irgendwo positionieren. Ich muss sagen: Ja, glaub ich, oder nein, glaub ich nicht.

Sie trifft eine Entscheidung für den Glauben. Das hat Konsequenzen. Jetzt beschäftigt sie sich nämlich erstmals richtig mit religiöser Musik.

Ganz einfach dadurch, dass ich Christ geworden bin. Ich bin jemand, der das, was er singt, wenn er einen Text singt, meinen muss. Ab da hab ich sehr stark selektiert, was ich überhaupt singe. Weil ich nicht irgendwelche „Schubidu, ich lieb dich“-Lieder singen wollte.

Doch auch Kirchenlieder singen sich für die studierte Jazzsängerin nicht von selbst. Sarah Kaiser macht immer wieder die Erfahrung:

Ich singe ein Lied und dann fängt der Text langsam an für mich überhaupt erst Bedeutung zu haben. Man singt drei Strophen, und lernt die erstmal auswendig und irgendwann, nach 5, nach 10, nach 15 Konzerten kapiert man plötzlich, was in der dritten Strophe gesagt wird. Das dauert. Das geht nicht so schnell.

Gemeinsam mit ihrer Jazz-Band – neben dem Gesang gehören Klavier, Schlagzeug und Bass zur Standardbesetzung, ab und an auch ein Saxophon – tourt Sarah Kaiser durch Deutschland. Bringt ihre Lieder, alte und neue geistliche Lieder, auf die Bühne. Und sie ist sich sicher: Lieder aus dem 15. oder 16. Jahrhundert können etwas bewegen:

Es wird zum Beispiel für mich Hoffnung freigesetzt.
Und sie erläutert, wie das praktisch aussehen kann:
Es ist so, wenn ich ein Lied singe, dann bleibt diese Melodie im Kopf hängen, wie ein Ohrwurm. Und es geht einem immer wieder durch den Kopf. Und dann plötzlich hast du ne Situation, wo du entmutigt bist, frustriert bist, und dann kommt so eine Strophe „Befiehl du deine Wege“. Und dann denke ich, ja genau. Und dann merke ich: ich fang an ein Dialog zu führen mit den Liedern.


Für diesen Dialog braucht Sarah Kaiser nicht viel. Auch wenn sie oft mit ihrer Band unterwegs ist, manchmal reicht nur eine Stimme, ein Text, eine Melodie – und ein altes Lied klingt neu.

Infos zu Sarah Kaiser unter www.sarahkaiser.de https://www.kirche-im-swr.de/?m=1760
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