SWR2 Wort zum Tag

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Und dann werd ich sie besuchen. Ganz bestimmt. In welchem Altersheim ist sie? Ach ja. So weit ist das ja auch wieder nicht. Es ist nun schon bestimmt zehn Jahre her, na ja… Was, keiner kümmert sich mehr um sie? Also, ich fahr vorbei. Oder ich schreib ihr erst mal. Schick mir doch mal die Adresse. Ich fahr ganz bestimmt. 

Nach zwei Monaten noch mal das gleiche Spiel. Ach ja, stimmt. Gut, dass du mich dran erinnerst. Nein, ich hab sie nicht vergessen. Wie könnte ich. Aber es war halt viel los. Du weißt schon. Ja, das mach ich jetzt noch. Sie wird sich bestimmt freuen, wenn ich komme. Ach so, nein, die Karte, noch nicht geschrieben. Ja, das werd’ ich vorher noch machen. Und dann fahr ich zu ihr. 

Ich war nicht da. Mittlerweile ist sie beerdigt. Zu spät.
Schon wieder zu spät. 

Die Blumen fürs Grab hätte ich ihr besser auf den Tisch gestellt. Man hätte, man sollte.
Bilder kommen mir in den Sinn. Als ich noch kleiner war und sie voll im Leben. Sie hatte einen Laden, eine Bäckerei. Als Kinder bekamen wir immer das Brot, das Mutter kaufte, als Miniaturausgabe. Extraanfertigung von ihrem Mann. Stolz wie Oskar waren wir. 

Jetzt ist sie tot, und das, was ich sagen wollte, kann ich nicht mehr sagen. Schuld heißt nicht nur, etwas Falsches getan zu haben. Zu oft auch: etwas nicht getan zu haben. Verpasste Gelegenheiten.

Nicht eingehaltene Vorsätze. Ich schaue alte Briefe durch, durchstöbere mein Adressbuch. Es gibt einige, bei denen ich mich melden könnte. Jetzt ist jetzt. Nicht irgendwann später.

Lieber ein paar Vorsätze weniger im Kopf und ein paar Dinge wirklich umgesetzt. Menschen nicht aufs Wartegleis schieben. Und irgendwann bist du selber froh, wenn andere anders handeln als du jetzt. Ganz bestimmt.

 

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