Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Bei den Christen treiben es Geschwister miteinander, und sie essen Menschenfleisch.“ Solche Vorwürfe bekamen die ersten Christen von ihren antiken Mitbürgern zu hören. Weil sich die Christen in der Gemeinde als „Brüder und Schwestern“ ansprachen, wurden auch Ehepaare für Geschwister gehalten, die verboten zusammenleben. Und weil im Gottesdienst Fleisch und Blut Christi als Brot und Wein verteilt wurden, hielt man die Christen für Kannibalen.

Solche Missverständnisse gibt es heute glücklicherweise nicht mehr – oder doch?
Manche Spekulation über die Kopftücher muslimischer Frauen klingt ähnlich wie die antike Christenkritik. Dann steht das Kopftuch für die Unterdrückung der Frau und mangelnde Verfassungstreue, für türkischen Nationalismus und islamischen Fundamentalismus. Das Kopftuch und seine Trägerin werden verdächtig.  Weil uns der vermeintliche Kopftuchzwang fremd, gar bedrohlich erscheint, macht er misstrauisch und führt zu Spekulationen und Unterstellungen. Da geht es den Muslimen heute nicht anders als damals den Christen.

Dass es auch anders geht, haben die ersten Christen allerdings auch erfahren:

Nach der Bibel waren sie bei vielen beliebt wegen ihrer Freigiebigkeit und Friedfertigkeit.
Und der antike Schriftsteller Tertullian soll begeistert über die Christen geschrieben haben: Seht, wie sie einander lieben! Hier haben die Mitmenschen nicht zuerst auf die befremdlichen christlichen Gottesdienste geschaut, sondern auf den alltäglichen Umgang der Christen miteinander und mit Geld und Vermögen. Und dieses Verhalten war offenbar glaubwürdig und imponierend.

Darin liegt für mich ein Schlüssel zum Verständnis: Niemand zwingt mich, andere Menschen und Weltanschauungen von dem her zu verstehen, was mir fremd, unverständlich oder gar verdächtig ist. Ich kann zunächst bei dem anknüpfen, was ich verstehe oder was mir sogar imponiert. Das führt dann zu jenem Vorschuss an Sympathie, ohne den es gar kein wirkliches Verstehen gibt, wie Papst Benedikt sagte.

Dann bleibt immer noch das Fremde und Befremdliche. Aber hier helfen keine Spekulationen und kein Verdacht. Hier hilft nur eins: Nachfragen. Wer wirklich wissen will, warum muslimische Frauen Kopftücher tragen und warum  Christen von Fleisch und Blut Christi sprechen, der muss sie fragen. Sonst bleibt er auf seinen Spekulationen sitzen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16529
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