SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Über die Liebe predige ich nicht allzu gern.
Das hat immer etwas Eigenartiges, wenn sich katholische Pfarrer,
vollmundig und äußerst beredt und vor allem langatmig dieses Thema vornehmen.
Aber über eine sehr praktische Übersetzung dieses hohen Begriffs spreche ich gern:
Über die Barmherzigkeit.
Für mich ist es das schönste und wichtigste Attribut Gottes.
Gott ist barmherziger mit uns, als wir mit uns selbst.
Jedenfalls hoffe ich das, sonst sieht es schlecht mit uns aus.

Barmherzigkeit ist eine Hauptvokabel im Evangelium.
Sie setzt moralische Maßstäbe, Eckpfeiler, Prinzipien nicht außer Kraft,
ist kein Freibrief für Beliebigkeit. Aber zeigt deutlich, dass nicht alle über einen Kamm zu scheren sind. Gott begleitet uns auf unseren Wegen und das können manchmal auch Umwege sein.

Christwerden - das dauert wohl das ganze Leben,
Wer könnte von sich sagen, dass er das schon geschafft hätte.
Aber probieren kann man es, immer wieder.
Und ich denke, das versuchen wohl alle, die sich Christen nennen.
Egal welcher gesellschaftlichen Gruppe sie angehören,
welchen sozialen Status sie haben,
ob sie in Familie leben, allein oder in anderer verantwortungsbewusster Partnerschaft.

Egal in welcher Partei sie sich zu ihrem Christsein bekennen.
Niemand hat ein Monopol auf uns. Mit Recht fordern Christen aller Konfessionen
immer wieder deutlich den Schutz von Ehe und Familie.
Ebenso aber möchte ich nicht auf die verzichten,
die dabei durch diese oft sehr eng geknüpften Maschen fallen. Menschen, die von außen besehen die Norm erfüllen, sind für mich noch nicht per se
Garanten für moralische Glaubwürdigkeit. Das können sie sein.
Müssen sie aber nicht.

Gauner gibt es unter Familienvätern genauso wie bei Alleinerziehenden.
Genauso wie es wunderbare Ehefrauen  und Mütter
kinderreicher Familien gibt und ebenso überzeugende Menschen, die bewusst allein leben.

Jesu Jüngerwelt war schon damals bunter, als wir es heute wahrhaben wollen.
„Liebe und dann tue was Du willst"
der Satz stammt nicht von der Berliner Loveparade sondern vom Kirchenvater Augustinus. Lieben, man kann schon mal damit anfangen,
wenn man Respekt vor anderen Lebensweisen hat, ohne sie selbst zu leben.
Wenn man die Sehnsucht von Menschen achtet,
so lieben zu dürfen, wie sie sind.
Und wenn man barmherzig mit Scheitern umgeht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16159
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