SWR2 Wort zum Tag

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Wer bin ich? So ist ein eindrucksvolles Gedicht überschrieben, das Dietrich Bonhoeffer im Jahre 1944 in seiner Gefängniszelle geschrieben hat. Es ist also in einer extremen Lebenssituation entstanden. Wer bin ich? Die Frage, für die er in dieser Situation Antworten sucht, ist eine Grundfrage des Menschen. Man muss auf sie in den unterschiedlichsten Lebenssituationen Antwort finden, um mit sich selbst eins sein zu können.
Am Anfang des Gedichts schildert Bonhoeffer seine Wirkung auf Mitgefangene: Sie sagen ihm oft, er träte aus seiner Zelle, gelassen und heiter und fest, wie ein Gutsherr aus seinem Schloss. Er trüge die Tage des Unglücks gleichmütig, lächelnd und stolz, wie einer, der Siegen gewohnt ist. Dann bricht es aus ihm heraus: Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß? Unruhig, sehnsüchtig, krank wie ein Vogel im Käfig, ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,…, dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe, zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung, …, müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen, matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen. - Auch in alltäglicheren Lebenssituationen spürt man diese Spannung zwischen seiner Wirkung auf andere und dem, was man in Wirklichkeit ist. Das Bild, das andere von einem haben und das man ihnen auch gerne zeigt, stimmt mit dem, was man von sich und all den Bruchstücken in seinem Leben weiß, nicht überein. Manchmal ist das kaum zu ertragen. Und manchmal meint man, sich selbst nicht mehr zu kennen und wird von der Frage umgetrieben: Wer bin ich?
Wer bin ich? fragt auch Bonhoeffer. Bin ich der oder jener? Bin ich denn heute dieser und morgen ein anderer? Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling? Gibt es eine Antwort auf solche Fragen? Wie kann man sich selbst finden und eins werden mit sich selbst? Man findet die Antwort nicht bei sich selbst. Nicht in dem, was man von sich weiß. Man findet sich nicht in der quälenden Suche nach einer Verbindung zwischen Sein und Schein. Bonhoeffer sagt es ganz schlicht: Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott. Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott! Wer bin ich also? Ein Mensch, der zu Gott gehören darf, der von ihm bejaht und angenommen ist, der ihm vertrauen kann. Bei ihm und durch ihn werde ich eins mit mir. So kann ich dann auch die Bruchstücke in meinem Leben aushalten. Von ihnen sagt der Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal, der heute Geburtstag hat: Es ist nicht auszudenken, was Gott aus den Bruchstücken unseres Lebens machen kann, wenn wir sie ihm ganz überlassen.
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