Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Der zweijährige Junge darf nicht mitmachen. Er kann das Lied von den „Lustigen Handwerkern" in und auswendig. Aber beim Elterntag in der Kita dürfen nur Kinder ab drei auftreten. Deshalb bugsiert die Erzieherin den Jungen freundlich, aber bestimmt von der Bühne zu seinem Vater. Der Kleine versteht die Welt nicht mehr. Sonst wurde er immer gelobt, wie gut er schon singen kann. Und jetzt darf er nicht mehr mitmachen - weil er erst zwei ist!

Der Junge wird die Erfahrung noch häufiger machen, dass er zu klein oder zu groß oder nicht gut genug ist, um mitzumachen. Und er wird diese Erfahrung mit vielen teilen, die zu alt oder zu jung sind, die falsche Staatsbürgerschaft oder das falsche Geschlecht haben oder aus anderen unverständlichen Gründen nicht mitmachen dürfen - als Kinder, Jugendliche oder Erwachsene.

Hier ging es nur um ein kleines Lied, aber schon bald wird es ernst: Viele Kinder aus sogenannten bildungsfernen Familien bekommen eine schlechtere Schullaufbahnempfehlung als ihre gutbürgerlichen Klassenkameraden - trotz gleicher Noten. Noch immer hat die soziale Herkunft in Deutschland großen Einfluss auf die Bildungslaufbahn von Kindern. Noch immer kommt es nicht alleine darauf an, was einer kann und ist, sondern woher er kommt und wie ihn andere einstufen.

Eigentlich sollte dieses Thema erledigt sein. Schon der Apostel Paulus prägte den christlichen Gemeinden ein, dass solche Unterschiede keine Rolle mehr spielen dürfen, dass zumindest unter Christen nicht mehr entscheidend sein soll, welche Herkunft einer hat, weil doch alle in Christus die gleiche Zukunft haben. Und dass es nur darauf ankommt, dass jeder seine Gabe leben und zum Ausdruck bringen kann.

Das beseitigt nicht alle Unterschiede, ist kein Aufruf zur Gleichmacherei. Aber Unterschiede sind kein Argument mehr, um Chancen und Möglichkeiten vorzuenthalten. Zwischen Menschen mit und ohne Behinderung, zwischen alt und jung darf nur noch unterschieden werden, um gezielt Hindernisse aus dem Weg zu räumen, aber nicht um auszuschließen. Ob der kleine Sänger zwei oder drei ist, ist nicht entscheidend. Hauptsache: Er kann singen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14774
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