SWR2 Wort zum Tag

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Beten heißt nicht, die Verantwortung für das notwendige Handeln auf Gott abschieben.
Das zeigt Bertolt Brecht in einer Szene aus „Mutter Courage".
Im Jahr 1636 bedrohen feindliche Truppen die noch schlafende Stadt Halle. Mutter Courage, eine Marketenderin, steht mit ihrer stummen Tochter Kattrin und mit ihrem Planwagen auf einem Bauernhof vor dieser Stadt.
Die Bauersleute sorgen sich um die bedrohte Stadt, glauben aber, nichts unternehmen zu können. Sie ziehen daraus die Erkenntnis: Wer nichts machen kann, kann wenigstens beten.
Das Gebet ersetzt für sie das notwendige Handeln. Aber die stumme Kattrin klettert auf das Dach des Stalls und trommelt; trommelt wie eine Besessene die Stadt wach, um sie vor den feindlichen Truppen zu warnen. Die Soldaten erschießen Kattrin, aber die Stadt ist gerettet, nicht durch Gebete, sondern durch die mutige Tat der stummen Kattrin. Ihr Handeln zeigt dabei eine Macht, die die ohnmächtigen Beter als Macht Gottes vergebens herabgefleht hatten.
Die Szene zeigt, dass Beten notwendiges Handeln nicht ersetzen kann.
Aber Beten im Sinne einer Hoffnung kann Handeln übersteigen, muss auch oft die Grenzen des Handelns bewusst machen, um über sie hinauszuweisen. Denn im Gebet erhoffe und ersehne ich mehr als jetzt möglich ist. Gerade um dieses Mehr geht es immer auch im Gebet, damit nicht alles bleibt, wie es ist.
Wenn ich zum Beispiel für bessere Arbeitsbedingungen in der Dritten Welt bete und Gott um Gerechtigkeit bitte, dann kann es mir nicht gleichgültig sein, was ich selbst dazu beitragen kann. Ich werde dann keine Billigprodukte kaufen, weil ich weiß, dass sie auf Kosten von Ausbeutung zustande gekommen sind. Mein Beten ersetzt nicht, was ich tun kann, es begleitet und motiviert mein Handeln.
Jesus wollte, dass Menschen so beten. So wie er es in den Bitten des Vaterunsers als große Hoffnung ausdrückt; allumfassend in der Bitte Dein Reich komme. Wer so betet, findet sich nicht ab mit der Welt, wie sie ist.
Gott handelt nicht von oben, sondern er braucht unsere Hände, unsere Augen, unsere Ohren. Beten ist Nachdenken vor Gott und heißt Verantwortung dort zu übernehmen, wo es gilt, Gottes Reich hier auf Erden Wirklichkeit werden zu lassen.

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