SWR2 Wort zum Tag

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„Wenn der Mensch betet, atmet Gott in ihm auf".

Der Schriftsteller Friedrich Hebbel hat das gesagt. Ein Satz, an dem ich hängen geblieben bin. Beten ist der Versuch, mit Gott in Verbindung zu kommen. Aber allzu oft bleibe ich dabei in meinem kleinen Ich gefangen. Geht das überhaupt, mit Gott in Verbindung zu sein? Ist das nicht eine fromme Illusion?

„Wenn ich rufe, erhöre mich / Gott, du mein Retter!"

So beginnt der 4. Psalm im Alten Testament. Beten heißt, die eigene Seele vor Gott auszubreiten: die Bitte und den Dank, die Verzweiflung und die Hoffnung. Psalmen werden in einem wiederkehrenden Atemrhythmus gebetet. Man betet einen Halbvers auf einen Atemzug, dann hält man inne, um die Luft wieder einströmen zu lassen und führt den Vers zu Ende. Beten und atmen. Das gehört zusammen. Der Rhythmus von Ausatmen und Einatmen - das ist eine Grundübung des Betens.

Im Psalm heißt es weiter:

„Du hast mir Raum geschaffen, als mir angst war. / Sei mir gnädig und hör auf mein Flehen." (Psalm 4)

Wenn man bewusst ausatmet und dann abwartet, weitet sich der Brustraum von selbst, und der neue Atem kann einströmen. Diese Erfahrung hat eine spirituelle Dimension. „Du hast mir Raum geschaffen" - Wenn ich meine Seele zu Gott hin wende und dabei innehalte, kann ich erfahren, wie sich die Seele weitet, wie neue Lebenskraft und Zuversicht einströmt.

„Wenn der Mensch betet, atmet Gott in ihm auf."

Ich muss mich nicht anstrengen und abmühen, um zu Gott zu kommen - sein Atem kommt zu mir. Das erinnert an die alte biblische Erzählung von der Erschaffung des Menschen. Gott formte den Adam aus der Erde - auf hebräisch: „Adama" - und blies in seine Nase den Lebensatem. Der Mensch gehört zur Materie wie alles Geschaffene. Aber lebendig wird er erst durch den göttlichen Lebensatem. Wir sind Beziehungswesen und können nur im Austausch leben. Das gilt für unseren Körper, aber auch für unsere Seele. Wir haben unser Leben nicht, aber wir können es uns von Atemzug zu Atemzug neu schenken lassen. Diese Lebensweisheit kann uns beim Beten bewusst werden. So können wir mit dem Lebendigen, mit dem Göttlichen  in Berührung kommen.

„Wenn der Mensch betet, atmet Gott in ihm auf."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14507
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