SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Die Tage zwischen den Jahren sind zum Vergessen. Nicht in dem Sinn, dass ich sie nicht mag. Im Gegenteil, ich schätze diese Tage sehr. Sie sind langsamer. Man kann das vergangene Jahr noch einmal bedenken mit seinen fröhlichen, Kraft raubenden, schmerzhaften und erfolgreichen Erfahrungen.
Und sich dann auch fragen, was man getrost vergessen kann, ja sollte. Ich möchte nicht zu viel Erinnerungslast mitnehmen nach 2013. Und wenn ich Erinnerungen mitnehme, dann in der Hoffnung, dass sie zu etwas gut werden können, nicht nur Last.
„Das kann ich dir nicht vergessen." Verhärtungen wie diese, die meine ich, die sind zum Vergessen. Oder wenn das nicht einfach so geht, dann zum Verwandeln. Vergessen, was ich jemand nachtrage. Immer wieder. Das belastet nicht nur das Verhältnis zum anderen. Es macht mich selbst schwer. Ihm oder ihr etwas vergessen, das befreit. Vielleicht braucht es eine Aussprache, eine klärende Begegnung oder eine Bitte um Verzeihung, damit man es vergessen kann. Aber dafür können die Tage zwischen Jahren gut sein oder den Anstoß geben.
Die Tage zwischen den Jahren sind aber nicht nur Tage zum Vergessen, sondern auch zum Unterscheiden. Unterscheiden, was in diesem Jahr gut war und was nicht. Muss ich das bedenken? Liegt das nicht auf der Hand? Fragen Sie vielleicht. Ich glaube nicht immer. Vielleicht haben Sie auch im letzten Jahr einiges erlebt, was Sie so oder so sehen könnten. Positiv oder negativ oder beides zugleich. Oft entscheidet der Blickwinkel, aus dem Sie es betrachten. Mit einigem Abstand empfinde ich manches anders als ich es direkt erlebt habe. Sehe, dass auch Gutes daran war.
Ich wünsche Ihnen und mir die Zeit, die eine oder andere Erfahrung dieses Jahres noch einmal zu betrachten. Und zu unterscheiden: Vielleicht ist auf einmal Gutes in einem Erlebnis zu sehen, das lange Zeit beschwerlich ausgesehen hat. Es kann aber auch das Gegenteil geschehen beim Unterscheiden. Dass ich spüre, ich habe die Tragweite einer Kleinigkeit unterschätzt. Sie ist wichtig. Und ich täte gut daran, dieser scheinbaren Kleinigkeit, im Neuen Jahr mehr Augenmerk zu schenken. Der abgesagte Besuch. Der hinaus geschobene Arztbesuch. Die Arbeit, die liegen geblieben ist. Die Freude, die ich mir nicht gegönnt habe.
Die Tage zwischen den Jahren sind Tage zum Unterscheiden und zum Vergessen. Und insofern auch gute Tage. Ich versuche mein Unterscheiden und Vergessen unter eine größere Überschrift zu stellen. Einem Gedanken von Jochen Klepper: „Der du die Zeit in Händen hast, Herr, nimm auch dieses Jahres Last und wandle sie in Segen."

 

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